Der Sieger bleibt allein (German Edition)
eine Waffe trug (was in vielen Städten der Welt gang und gäbe war), und ließen diese Person nicht aus dem Blick, bis klar war, dass sie keine Bedrohung darstellte. Wenn Javits in einen Fahrstuhl stieg, standen beide so dicht beieinander, dass ihre Körper eine Wand bildeten, die ihn von den anderen abschirmte. Er hatte sie nie ihre Pistole ziehen sehen, denn sie würden es nur tun, um sofort loszufeuern. Normalerweise lösten sie Probleme mit Blicken und einem ruhigen Gespräch.
Probleme? Er hatte nie Probleme gehabt, seit er diese »Freunde« hatte. Als genügte ihre bloße Anwesenheit, um böse Geister und finstere Absichten von ihm fernzuhalten.
»Dieser Mann. Der, der als einer der Ersten gekommen ist und sich allein an den Tisch gesetzt hat«, sagt einer der »Freunde«. »Der hatte doch eine Waffe, oder?«
Der andere murmelte so etwas wie ›Möglich‹. Aber der Mann hat das Zelt längst durch den Haupteingang verlassen. Und sie hatten ihn die ganze Zeit im Auge behalten, weil sie nicht wussten, wohin er hinter seiner Sonnenbrille blickte.
Sie entspannen sich. Einer widmet sich wieder dem Telefon, der andere sieht den schwarzen Jamaikaner scharf an, der den Blick ungerührt erwidert. Der Mann hat etwas Eigenartiges an sich. Sollte er aggressiv werden, würde er allerdings vom heutigen Tag an ein künstliches Gebiss tragen müssen. Alles würde so diskret wie möglich ablaufen, den Blicken der anderen entzogen, und zwar würde nur einer einschreiten, der andere würde warten, den Finger am Abzug. Provokationen wie diese können nur eine Finte sein, deren einziges Ziel es ist, die Bodyguards vom Opfer wegzulocken. Diesen alten Trick kennen sie nur allzu gut.
»Alles in Ordnung.«
»Nichts ist in Ordnung. Ruft einen Krankenwagen. Ich kann meine Hand nicht mehr bewegen!«
12 Uhr 44
Welch ein Glück!
Sie hatte an diesem Vormittag alles erwartet, nur nicht, dass sie beim »Lunch« zufällig den Mann sehen würde, der – da war sie sich sicher – ihr Leben verändern würde. Aber da sitzt er nun mit zwei Freunden, nachlässig gekleidet, denn die Mächtigen haben es nicht nötig, sich in Szene zu setzen. Sie haben nicht einmal Bodyguards.
Maureen unterteilt die Menschen in Cannes in zwei Kategorien:
a) die Braungebrannten, die den ganzen Tag in der Sonne verbringen (möglicherweise, weil sie bereits Sieger waren); sie tragen ja auch den in den reservierten Bereichen des Festivals erforderlichen Badge. Wenn sie in ihren Hotels ankommen, erwarten sie bereits mehrere Einladungen – die meisten davon landen im Papierkorb;
b) die Blassen, die von einem dunklen Büro zum nächsten hetzen, zu Castings oder zu Events eilen, weil sie keines verpassen wollen, oder sich allen möglichen unerfreulichen Dingen aussetzen, denn sie könnten ja, wenn sie den richtigen Kontakt zur richtigen Person hätten, einen Platz zwischen den Braungebrannten an der Sonne ergattern.
Javits Wild weist eine beneidenswerte Bräune auf.
Das Ereignis, das die kleine Stadt im Süden Frankreichs zwölf Tage lang in Beschlag nimmt, die Preise hochtreibt, nur Wagen mit Genehmigung erlaubt, durch bestimmte Straßen zu fahren, das den Flughafen mit Privatflugzeugen füllt und die Strände mit Models, besteht nicht nur aus einem roten, von Fotografen gesäumten Teppich, über den die großen Stars zum Eingang des Palais des Congrès schreiten.
In Cannes geht es offiziell nicht um Mode, wie einige meinen, es geht um den Film.
Auch wenn der Luxus und der Glamour mehr ins Auge stechen, die Seele des Festivals ist die gigantische, parallel dazu stattfindende Messe der Filmindustrie: Käufer und Verkäufer aus der ganzen Welt treffen sich hier, um über bereits fertige Filme, Investitionen für neue Produktionen und Filmideen zu verhandeln. An einem gewöhnlichen Festivaltag werden in der ganzen Stadt vierhundert Filme gezeigt – meist in für die Zeit des Festivals gemieteten Apartments, in denen Leute unbequem um die Betten verteilt sind, wegen der Hitze maulen und Mineralwasser und Sonderbehandlung verlangen, was die Nerven derjenigen, die mit gefrorenem Lächeln die Streifen zeigen, aufs äußerste strapaziert. Sie müssen alles kritiklos hinnehmen und Provokationen überhören, denn es ist ihre einzige Chance, die Filme zu zeigen, die meist in jahrelanger Arbeit entstanden sind.
Mit Zähnen und Klauen wird hier darum gekämpft, die 4800 Produktionen aus einem der Hotelzimmer in die Kinos zu bringen, dabei sind die
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