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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Cristina. In ihrem Lebenslauf steht, dass Anna Dieter sie auf einer Reise durch Kenia entdeckt hätte. Näheres zu ihrem privaten Hintergrund steht dort nicht, damit man auf eine leidvolle, von Hunger geprägte Kindheit inmitten eines Bürgerkriegs schließen kann. Dabei ist Cristina trotz ihrer schwarzen Haut in der belgischen Stadt Antwerpen geboren – als Tochter von Flüchtlingen, die den ewigen Konflikten zwischen Hutus und Tutsis in Ruanda entkommen wollten.
    Sie war sechzehn und half gerade ihrer Mutter, die sich als Putzfrau durchschlug, als sich ein Mann höflich an sie gewandt und sich als Fotograf vorgestellt hatte.
    »Ihre Tochter ist eine einzigartige Schönheit«, sagte er. »Wäre schön, wenn sie als Model für mich arbeiten könnte.«
    »Was glauben Sie, ist in der Tasche? Sachen zum Putzen! Ich arbeite Tag und Nacht, damit sie eine gute Schule besuchen und studieren kann. Sie ist erst sechzehn.«
    »Das ist das beste Alter«, erwiderte der Fotograf und gab der Tochter seine Visitenkarte. »Rufen Sie mich an, falls Sie es sich anders überlegen.«
    Sie putzten weiter, aber die Mutter merkte bald, dass die Tochter die Visitenkarte eingesteckt hatte.
    »Glaub ihm nicht! Das ist nicht deine Welt! Die wollen alle nur mit dir ins Bett!«
    Diese Bemerkung war überflüssig – obwohl die Mädchen aus Cristinas Klasse sie wegen ihres Aussehens beneideten und die Jungen alle unbedingt mit ihr ausgehen wollten, war sie deswegen nie arrogant geworden. Sie wusste, woher sie stammte und welche Grenzen ihr gesetzt waren.
    Als es zum zweiten Mal passierte, traute sie wieder ihren Ohren nicht. Sie hatte gerade eine Eisdiele betreten, als eine Frau sie ansprach, ihr ein Kompliment zu ihrer Schönheit machte und sich als Modefotografin vorstellte. Cristina hatte dankend die Visitenkarte entgegengenommen und versprochen anzurufen – was sie keineswegs vorhatte, obwohl alle Mädchen in ihrem Alter davon träumten, Model zu werden.
    Wenn etwas zweimal passiert, passiert es wahrscheinlich auch ein drittes Mal. Drei Monate später stand sie vor dem Schaufenster einer Boutique mit sündhaft teuren Kleidern, als der Besitzer heraustrat und sie ansprach.
    »Was machst du so?«
    »Was ich machen werde, sollten Sie mich fragen. Ich werde Veterinärmedizin studieren.«
    »Da bist du auf dem falschen Weg. Möchtest du nicht für uns arbeiten?«
    »Ich habe keine Zeit, Kleider zu verkaufen. Wenn ich kann, helfe ich meiner Mutter.«
    »Es geht nicht darum, Kleider zu verkaufen. Ich hätte gern ein paar Fotos von dir mit unserer Kollektion gemacht.«
    Diese Begegnungen wären nur nette Erinnerungen für ihr späteres Leben geblieben, in dem sie heiraten, Kinder bekommen und sich in ihrem Beruf und in der Liebe verwirklichen würde, wäre nicht ein paar Tage später noch etwas passiert.
    Sie war mit ein paar Freunden in einer Disco, genoss das Leben und tanzte, als eine Gruppe von zehn jungen Männern grölend hereinkam. Neun von ihnen trugen mit Rasierklingen gespickte Stöcke und forderten alle brüllend auf, die Diskothek zu verlassen. Sofort brach Panik aus, die Leute stoben auseinander. Cristina wusste nicht recht, was sie tun sollte, obwohl ihr Instinkt ihr befahl, sich nicht zu bewegen und den Kopf abzuwenden.
    In diesem Augenblick beobachtete sie, wie der zehnte Junge auf einen ihrer Freunde zuging, ein Messer aus der Tasche zog, ihn von hinten packte und ihm an Ort und Stelle die Kehle durchtrennte. Dann gingen die zehn wieder – während die Leute schreiend herumrannten oder sich auf den Boden setzten und weinten.
    Ein paar stürzten zum Opfer, versuchten zu helfen, obwohl schnell klar war, dass es zwecklos war. Andere standen unter Schock, darunter auch Cristina. Sie kannte den ermordeten Jungen, sie kannte auch den Mörder und sogar das Motiv: ein Streit, der in einer Bar ausgebrochen war, kurz bevor sie in die Disco gegangen waren. Aber Cristina kam es so vor, als wäre alles nur ein Traum, aus dem sie bald schweißgebadet aufwachen würde. Zum Glück haben auch Alpträume ein Ende.
    Aber das hier war kein Traum.
    Erst ein paar Minuten später war sie wieder zu sich gekommen und hatte geschrien, jemand solle etwas tun, geschrien, sie sollten nichts machen, geschrien und geschrien, und ihre Schreie machten die anderen nur noch nervöser. Die Disco war zu einem Pandämonium geworden, die Polizei stürmte mit gezogenen Waffen herein, hinzu kamen noch Sanitäter und Kommissare, die alle jungen Leute an der Wand

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