Der Sieger bleibt allein (German Edition)
diese kühle Fassade durchbricht. Älteren Männern begegnen sie mit einer Mischung aus Ekel und Faszination, denn sie wissen zwar einerseits, dass diese möglicherweise den Schlüssel zu ihrem Erfolg in der Tasche haben, möchten aber andererseits auch nicht für Edelnutten gehalten werden. Man sieht sie stets mit einem Glas Champagner in der Hand, doch das ist nur Teil des Images, das sie verbreiten wollen. Sie wissen, dass Alkohol dick machen kann, und trinken daher am liebsten Mineralwasser ohne Kohlensäure – denn Kohlensäure bläht den Magen auf. Sie haben Träume, Ideale, Würde, obwohl all das eines Tages mit den ersten Anzeichen von Cellulitis verschwinden wird.
Sie schließen einen Geheimpakt mit sich selber ab: niemals an die Zukunft zu denken. Sie geben einen Großteil ihres Verdienstes für Schönheitsprodukte aus, die ewige Jugend versprechen. Sie lieben Schuhe, aber die sind sündhaft teuer. Dennoch leisten sie sich hin und wieder ein Paar und natürlich ausgerechnet die besten und teuersten. Über Freunde gelangen sie an Kleider und Wäsche zum halben Preis. Sie leben in kleinen Wohnungen mit ihren Eltern, mit einem Bruder, der studiert, einer Schwester, die eine Ausbildung zur Bibliothekarin oder zur Wissenschaftlerin macht. Alle glauben, die Mädchen würden ein Vermögen verdienen, und pumpen sie ständig um Geld an. Und die Mädchen leihen ihnen das Geld, weil sie möchten, dass die anderen sie für wichtig, reich, großzügig und überlegen halten. Wenn sie zur Bank gehen, ist ihr Konto immer im Minus und das Limit der Kreditkarte überzogen
Sie haben Hunderte von Visitenkarten gesammelt, haben sich mit gutangezogenen Männern getroffen, die ihnen Jobs angeboten haben, von denen sie von vornherein wussten, dass sie sie nicht bekommen würden. Sie rufen diese Männer hin und wieder an, um den Kontakt aufrechtzuerhalten, weil sie wissen, dass sie vielleicht eines Tages Hilfe brauchen könnten, auch wenn diese Hilfe etwas kostet. Alle sind schon in solche Fallen getappt. Alle haben schon von leicht erreichtem Erfolg geträumt, aber einsehen müssen, dass es so etwas nicht gibt. Und alle haben schon mit siebzehn unzählige Enttäuschungen, Verrat und Erniedrigungen hinter sich und trotzdem den Glauben nicht verloren.
Wegen der Tabletten schlafen sie schlecht. Sie hören Geschichten über Anorexie, eine in dieser Berufsgruppe weitverbreiteten Krankheit, beziehungsweise eine nervöse Störung, die durch obsessive Beschäftigung mit dem eigenen Gewicht und Aussehen hervorgerufen wird. Sie denken, ihnen würde so etwas nicht passieren, und merken nicht, wenn sich die ersten Symptome einstellen.
Sie sind aus der Kindheit direkt in diese Luxus- und Glamourwelt hinübergewechselt, ohne vorher die Jugendjahre und eine Zeit des Reifens durchgemacht zu haben. Wenn man sie nach ihren Zukunftsplänen fragt, haben alle die gleiche Antwort parat: ›Ein Studium an der Philosophischen Fakultät. Ich mache das hier nur, um später mein Studium finanzieren zu können.‹ Dabei wissen sie genau, dass das nicht stimmt. Besser gesagt, sie wissen, dass etwas an diesen Sätzen merkwürdig klingt, können es aber nicht benennen. Wollen sie wirklich ein Diplom machen? Brauchen sie das Geld wirklich, um ihr Studium zu bezahlen? Letztlich können sie sich den Luxus nicht leisten, eine Universität zu besuchen – morgens sind immer Castings, am Nachmittag Fotosessions, am frühen Abend Cocktails, Partys, auf die sie gehen müssen, um gesehen, bewundert, begehrt zu werden.
Nach außen sieht es so aus, als führten sie ein märchenhaftes Leben. Und eine Zeitlang glauben sie auch selber, dass dieses Leben die wahre Erfüllung sei. Sie besitzen fast alles, worum sie immer die anderen jungen Frauen in den Modereportagen und den Kosmetikanzeigen beneidet hatten. Mit etwas Disziplin können sie sogar etwas Geld zurücklegen. Bis sie bei der täglichen genauen Prüfung der Haut die ersten Altersanzeichen entdecken. Von dem Augenblick an wissen sie, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Stylist oder der Fotograf diese Zeichen auch sieht. Ihre Tage sind gezählt.
Ich nahm den Weg, der kaum begangen war,
das hat den ganzen Unterschied gemacht.
Anstatt ihre Lektüre wiederaufzunehmen, erhebt sich Jasmine, gießt sich ein Glas Champagner ein (das immer dasteht, aber selten getrunken wird), nimmt einen Hotdog und geht ans Fenster. Dort steht sie schweigend und schaut aufs Meer. Ihre Geschichte ist anders.
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