Der Sieger bleibt allein (German Edition)
und weiteren Feuchtigkeitslotionen ein. Sie trinken eine Tasse Kaffee ohne Zucker, essen dazu Obst mit vielen Ballaststoffen – damit die Nahrungsmittel, die sie im Laufe des Tages zu sich nehmen, den Darmtrakt schnell wieder verlassen. Sie machen etwas Gymnastik, bevor sie zur Arbeit oder auf Arbeitssuche gehen. Normalerweise machen sie nur Stretching. Fürs Training im Fitnessstudio sind sie noch zu jung, ihr Körper würde durch das Krafttraining zu männlich werden. Täglich steigen sie drei- oder viermal auf die Waage – die meisten haben sogar eine Waage im Gepäck, weil sie nicht immer in Hotels, sondern häufig in Pensionen untergebracht sind. Jedes zugenommene Gramm stürzt sie in Depressionen.
Die meisten sind zwischen 17 und 18 Jahre alt und werden deshalb von ihren Müttern begleitet. Sie sind zwar alle in jemanden verliebt, aber sie stehen nicht zu ihren Gefühlen, gestehen sie sich nicht einmal ein, denn Reisen würde dann heißen, den Liebsten zu verlassen, und wäre sehr viel schwerer erträglich. Auch darf derjenige, in den sie verliebt sind, nichts von ihren Gefühlen erfahren, denn sonst wäre er womöglich eifersüchtig und würde aus lauter Angst, seine Freundin an jemand anderen zu verlieren, erst gar keine Beziehung mit ihr haben wollen. Ja, und an Geld denken sie natürlich auch. Sie verdienen im Durchschnitt 400 Euro pro Tag, ein beneidenswert hohes Honorar für jemanden, der oft noch nicht einmal alt genug ist, um den Führerschein zu machen. Aber der Traum ist da noch nicht zu Ende. Die Mädchen wissen alle, dass sie bald schon von neuen Gesichtern, neuen Trends abgelöst werden, und wollen darum zeigen, dass sie für mehr Talent haben als nur für den Laufsteg. Sie liegen ihren Agenturen in den Ohren, ihnen Castingtermine für einen Film zu vermitteln, damit sie zeigen können, dass sie das Zeug zur Schauspielerin haben– und das ist dann der ganz große Traum.
Die Agenturen versprechen, sich darum zu kümmern, die Mädchen müssten sich nur etwas gedulden, ihre Karriere stehe ja erst am Anfang. Tatsächlich aber haben die Agenturen keinerlei Kontakte außerhalb der Modewelt. Sie verdienen einen anständigen Prozentsatz an den Honoraren der Models, stehen im Wettstreit mit anderen Agenturen, und so groß ist der Markt letztlich auch wieder nicht. Es ist besser, jetzt so viel wie möglich mitzunehmen, bevor das Model die gefährliche Altersgrenze von zwanzig überschreitet – wenn die Haut von zu vielen Cremes zerstört, der Körper von der kalorienarmen Ernährung geschwächt, das Gehirn bereits von Appetitzüglern angegriffen und der Blick leer geworden ist.
Anders als immer behauptet wird, kommen die Models für ihre Kosten selber auf – Flugticket, Hotel und die ewig gleichen Salate. Die Models, besser gesagt, diejenigen unter ihnen, die Chancen haben, auf wichtigen Modenschauen zu laufen oder in Modemagazinen zu erscheinen, werden von den Assistenten der Stylisten zu Castings eingeladen. Da stehen sie dann vor chronisch schlechtgelaunten Menschen, die die geringe Macht, die sie tatsächlich besitzen, dazu nutzen, ihre täglichen Frustrationen an den Models abzureagieren. Nie fällt auch nur ein freundliches oder ermutigendes Wort, vernichtende Kommentare wie »schrecklich!« dagegen schon eher. So geht es von einem Casting zum nächsten. Die Models hängen an ihren Mobiltelefonen wie an einem rettenden Strohhalm, als könnten diese ihnen die göttliche Erleuchtung, den Kontakt zu einer höheren Welt vermitteln, in der sich ihr Traum von Erfolg, Schönheit und Ruhm verwirklicht.
Die Eltern sind stolz auf ihre Töchter, deren Karrieren sich gut anlassen, und bereuen, anfangs gegen diese Berufswahl gewesen zu sein. Letztlich verdienen die Mädchen Geld und unterstützen die Familie. Ihre Freunde, die sie möglicherweise dann doch haben, kommen fast um vor Eifersucht, beherrschen sich aber, denn es schmeichelt ihrem Ego, mit einer aus der Modewelt zusammen zu sein. Ihre Agenten arbeiten mit zig anderen Mädchen im gleichen Alter und mit den gleichen Träumen zusammen und haben stets die üblichen ausweichenden Antworten auf die üblichen Fragen parat: ›Könnte ich nicht an der Modewoche in Paris teilnehmen?‹, ›Finden Sie nicht, dass ich genug Charisma habe, um es beim Film zu versuchen?‹ Und die Freundinnen beneiden sie insgeheim oder ganz offen.
Sie gehen zu allen Partys, zu denen sie eingeladen werden. Sie tun cool und abweisend und hoffen doch im Stillen, dass jemand
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