Der Sieger bleibt allein (German Edition)
hatte der Spumante oder Champagner oder wie auch immer man ihn nennen wollte, seine Wirkung gezeigt, und sie hatte die Frage gestellt:
»Was ist mit diesem Bettler in Sibirien passiert?«
Igor hatte nicht gleich gewusst, was sie meinte. Ewa erinnerte ihn an das, was damals im Restaurant vorgefallen war.
»Ich hätte gern den Rest erfahren.«
»Ich habe ihn gerettet.«
Sie hatte erleichtert aufgeatmet.
»Ich habe ihn vor einem schmutzigen, perspektivlosen Leben mit diesen dort üblichen eisigen Wintern gerettet, davor, dass sein Körper langsam vom Alkohol zerstört werden würde. Ich habe dafür gesorgt, dass seine Seele zum Licht aufsteigen konnte, weil ich in dem Augenblick, in dem er das Restaurant betrat und unser Glück störte, begriff, dass sein Geist vom Bösen besessen war.«
Ewa hatte gespürt, wie ihr Herz klopfte. Sie brauchte keine direkte Bestätigung, es war auch so klar, dass er ihn getötet hatte.
»Ohne dich existiere ich nicht. Alles, was uns trennt oder das bisschen Zeit stört, das wir gemeinsam verleben können, muss entsprechend behandelt werden.«
Oder mit anderen Worten, und vielleicht hatte er das ja sagen wollen: Jemand, der das tut, muss getötet werden. Ob das schon früher einmal passiert war, Ewa es aber einfach nicht mitbekommen hatte? Sie hatte getrunken, immer weitergetrunken, während Igor sich wieder entspannte: Da er niemandem sonst seine Seele öffnete, liebte er jedes Gespräch, das sie miteinander führten.
»Wir beide sprechen dieselbe Sprache«, fuhr er fort. »Wir sehen die Welt auf dieselbe Art. Wir ergänzen einander so vollkommen, wie es nur denen gestattet ist, die die Liebe über alles stellen. Ich sage es noch einmal: Ohne dich existiere ich nicht.
Schau dir die Angehörigen der Superklasse um uns herum an. Sie halten sich ja für so wichtig. Sie glauben, sie hätten ein soziales Gewissen, wenn sie für ein Vermögen wertlose Dinge bei Wohltätigkeitsversteigerungen erwerben, die unter dem Motto ›Rettet die Obdachlosen in Ruanda‹ oder ›Wohltätigkeitsdinner zur Rettung der Pandabären in China‹ veranstaltet werden. Für die Superklasse sind Pandas und Hungernde ein und dasselbe: Sie fühlen sich allein deshalb als etwas Besonderes, überlegen, weil sie etwas Nützliches tun. Haben sie schon einmal in einer Schlacht gekämpft? Nein! Sie schaffen die Kriege, kämpfen aber nicht in ihnen! Geht ein Krieg gut aus, ist es ihr Verdienst. Geht er schlecht aus, sind die anderen schuld. Sie lieben nur sich selber.«
»Mein Liebster, ich hätte dich gern noch etwas gefragt...«
In diesem Augenblick war der Moderator auf die Bühne gestiegen und hatte sich bei allen Anwesenden bedankt. Das gesammelte Geld werde für den Kauf von Medikamenten für Flüchtlingscamps in Afrika benutzt werden.
»Weißt du, was er verschweigt?«, hatte Igor gefragt, als hätte er ihre Worte nicht gehört. »Dass nur zehn Prozent des Betrages ihr Ziel erreichen. Der Rest wird dazu benutzt, diese Veranstaltung, die Kosten für das Dinner, die Pressearbeit, die Leute, die daran mitgearbeitet haben, zu bezahlen – besser gesagt, diejenigen, die die ›brillante‹ Idee hatten. Und der Preis, der für das alles bezahlt wird, ist ungeheuer hoch. Sie benutzen das Elend, um immer reicher zu werden.«
»Und warum sind wir dann hier?«
»Weil wir hier sein müssen. Das gehört zu meiner Arbeit. Ich habe nicht die geringste Absicht, Ruanda zu retten oder Flüchtlingen Medikamente zu schicken – aber mir ist das klar. Der Rest des Publikums benutzt sein Geld, um Gewissen und Seele von Schuld reinzuwaschen. Weißt du, während in Ruanda ein Völkermord begangen wurde, habe ich ein kleines Heer von ›Freunden‹ finanziert, das verhindert hat, dass es noch weitere zweitausend Tote im Kampf zwischen den Hutu und den Tutsi gab.«
»Davon hast du mir nie erzählt.«
»Das war auch nicht notwendig. Du weißt, dass ich mich immer um andere kümmere.«
Die Versteigerung begann mit einer kleinen Louis-Vuitton-Reisetasche. Sie wurde für das Zehnfache des Kaufpreises ersteigert. Igor hatte unbewegt zugeschaut, während Ewa noch ein Glas getrunken und sich gefragt hatte, ob sie die eine Frage, die ihr auf dem Herzen lag, stellen sollte oder nicht.
Ein Maler tanzte zu einem Song von Marilyn Monroe und bemalte dabei eine Leinwand. Die Gebote gingen hoch – man hätte sich von dem Geld eine kleine Wohnung in Moskau leisten können.
Noch einen Spumante. Ein weiteres Kunstobjekt wurde verkauft.
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