Der Sieger bleibt allein (German Edition)
weniger Rollenangebote – obwohl er inzwischen nur noch die Hälfte verlangte. Allmählich kam Verzweiflung in ihm auf, denn bislang hatte er von der Hoffnung gelebt, dass es mit ihm immer nur noch höher und noch weiter gehen würde, und das immer schneller. Er durfte nicht von einem Augenblick zum anderen an Wert verlieren. Wenn heute ein Rollengebot kommt, muss er sagen: ›Ich finde die Rolle wunderbar und übernehme sie gern, auch wenn die Gage nicht meiner üblichen entspricht.‹ Die Produzenten tun so, als glaubten sie es. Der Agent tut so, als hätte er sie über seinen wahren Marktwert getäuscht, und er weiß, dass sein ›Produkt‹ sich weiter auf Festivals wie diesem zeigen muss, immer beschäftigt, immer freundlich, immer distanziert – wie man es von einer Filmikone erwartet.
Der Presseberater hat beispielsweise vorgeschlagen, ihn fotografieren zu lassen, wie er eine gerade angesagte, berühmte Schauspielerin küsst. Dieses Bild könnte es auf das Cover einer Skandalzeitschrift schaffen. Die Auserwählte – die ihrerseits auch etwas Extrapublicity gebrauchen kann– war bereits angesprochen worden. Jetzt geht es nur noch darum, den richtigen Augenblick während des Galadinners am heutigen Abend zu wählen. Die Szene soll spontan wirken, gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass ein Fotograf in der Nähe ist – obwohl beide auf gar keinen Fall »merken« dürfen, dass sie beobachtet werden. Später, nach der Veröffentlichung der Fotos, kommen beide noch einmal in die Schlagzeilen, weil sie dementieren, eine Affäre zu haben, und eine Klage wegen des Eingriffs in ihre Privatsphäre einreichen. Anwälte werden Verfahren gegen die Zeitschriften anstrengen und die Presseberater der beiden versuchen, die Angelegenheit so lange wie möglich am Leben zu halten.
Im Grunde genommen befindet er sich trotz all der Jahre Arbeit und des weltweiten Ruhms in der gleichen Situation wie die junge Frau, die vor ihm sitzt.
›Du wirst alles aufgeben müssen, ich werde das einzige und alleinige Maß sein.‹
Gibson unterbricht das kurze Schweigen in diesem perfekten Szenario: Jacht, Sonne, eisgekühlte Getränke, das Kreischen der Möwen, eine erfrischende Brise.
»Sie werden sicher wenigstens etwas über Ihre Rolle erfahren wollen, wenn schon der Titel des Films sich bis zur Premiere noch ändern kann. Die Antwort ist: Sie werden seine Partnerin sein.«
Gibson zeigt auf den Filmstar.
»Oder genauer gesagt, Sie spielen die weibliche Hauptrolle. Und Sie wollen sicher auch gerne wissen: Warum ausgerechnet ich?«
»Genau.«
»Der Grund ist einfach: der Preis. Das Budget dieses ersten, von Hamid Hussein produzierten Films, bei dem ich Regie führen soll, ist relativ bescheiden. Und die Hälfte des Budgets fließt nicht etwa in die Produktion des Films, sondern in die Werbung. Um das Publikum anzulocken, brauchen wir also einen Star und daneben jemand Unbekannten, der nicht viel kostet, den der Film aber bekannt machen wird. Diese Idee ist alles andere als neu. Man arbeitet so, seit der Film zu einer wichtigen Industrie geworden ist. Aus der Sicht des Publikums leben sowohl Star als auch der unbekannte Co-Star im Luxus, da die Filmindustrie von jeher Bekanntheit und Reichtum gleichzusetzen bemüht war. Ich erinnere mich, wie ich als kleiner Junge in Hollywood diese großen Villen gesehen habe und dachte, dass alle Schauspieler ein Vermögen verdienen.
Das stimmt aber nicht. Nur zehn oder zwanzig Weltstars können von sich sagen, dass sie ein Vermögen verdienen. Der Rest lebt vom Schein. Die Villa ist vom Studio gemietet, Modedesigner und Juweliere leihen Kleider und Schmuck, Automobilfirmen stellen für eine bestimmte Zeit teure Wagen, um vom Hollywood-Glamour zu profitieren. Das Studio zahlt alles, was Glamour verheißt, und die meisten Schauspieler verdienen nur ein relativ kleines Honorar. Das trifft nicht auf unseren Freund hier zu, doch bei Ihnen wird es so sein.«
Der Filmstar weiß nicht, ob Gibson ehrlich ist, ob er tatsächlich glaubt, einen der größten Schauspieler der Welt vor sich zu haben, oder ob er eine Farce vorspielt. Aber das ist gleichgültig, solange sie den Vertrag unterzeichnen, der Produzent nicht in letzter Minute abspringt, solange die Drehbuchautoren ihren Text fristgerecht liefern, das Budget streng eingehalten und gute pr -Arbeit geleistet wird. Er hatte schon hundertmal erlebt, wie Filmprojekte in letzter Minute abgebrochen wurden. Aber das gehörte zum Leben. Doch
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