Der Sieger bleibt allein (German Edition)
oder... Polizist.
Savoy hat nie daran gezweifelt, der Gesellschaft wirklich nützlich sein zu können. Die Lektüre vieler Kriminalromane hatte ihn zu der Überzeugung geführt, dass die Guten immer einen Platz an der Sonne haben, wenn nur die Bösen hinter Gittern landen. Er besuchte voller Begeisterung die Polizeiakademie, wo er in den theoretischen Fächern ausgezeichnete Abschlussnoten erzielte. Er trainierte seinen Körper, um gefährliche Situationen meistern zu können, und wurde Scharfschütze, obwohl er nicht vorhatte, jemals jemanden zu töten.
Im ersten Berufsjahr lernte er dann den Berufsalltag kennen – seine Kollegen beklagten sich über das niedrige Gehalt, die Inkompetenz der Justiz, die Vorurteile, mit denen ihrer Arbeit begegnet wurde, und das fast vollständige Fehlen von ›action‹ in dem Bereich, in dem sie arbeiteten. Im Laufe der Zeit änderten sich die Klagen zwar nicht, aber es kam noch etwas dazu.
Papier.
Zahllose Berichte über das Wo, Wie und Warum irgendeines Ereignisses. Ein einfacher Fall, wie an verbotener Stelle abgelegter Müll, verlangte, dass der Müll durchsucht wurde, um den Schuldigen zu finden (es gab immer Hinweise wie Briefumschläge, Flugtickets etc.), die Fundstelle musste fotografiert, eine sorgfältige Skizze angefertigt, die Person identifiziert werden, dann erfolgte eine freundliche Vorladung. Anschließend wurde eine zweite, weniger freundliche, Vorladung geschickt, der Fall vor Gericht gebracht, falls derjenige, der widerrechtlich gehandelt hatte, das alles für kompletten Blödsinn hielt und nicht erschien. Es folgten die Zeugenaussagen, die Urteile, die von kompetenten Anwälten dagegen eingelegten Berufungen. Es konnten durchaus zwei Jahre vergehen, bis das Verfahren ohne Konsequenzen für beide Seiten endgültig eingestellt wurde.
Verbrechen mit Todesfolge waren äußerst selten. Neuesten Statistiken zufolge hatten die meisten Delikte mit Konflikten zwischen Kindern reicher Eltern in teuren Nachtclubs, Diebstählen in Apartments, die nur im Sommer bewohnt wurden, mit Übertretungen der Straßenverkehrsordnung, Anzeigen wegen Schwarzarbeit und Ehestreitigkeiten zu tun. Darüber sollte er selbstverständlich froh sein: In einer immer unruhigeren Welt war Südfrankreich ein Oase des Friedens, selbst wenn Tausende Ausländer, die an den Strand gehen oder Filme kaufen und verkaufen wollten, den Ort überschwemmten. Im letzten Jahr hatte er vier Selbstmordfälle bearbeitet (was sechs oder sieben Kilo Papier bedeutet hatte, das getippt, ausgefüllt und unterzeichnet werden musste) und zwei, nur zwei Angriffe mit Todesfolge.
Was statistisch gesehen sonst in einem ganzen Jahr geschah, war heute in ein paar Stunden passiert. Was war bloß los?
Die Bodyguards hatten sich aus dem Staub gemacht, ohne vorher eine Zeugenaussage gemacht zu haben – und Savoy notierte sich im Geiste, dass er, sobald er Zeit hätte, eine Beschwerde gegen die Polizisten schreiben würde, die mit dem Fall betraut waren. Schließlich hatten sie die einzigen wirklichen Augenzeugen laufenlassen – denn die junge Frau hier im Wartesaal wusste überhaupt nichts. Es hatte ihn keine zwei Minuten gekostet, zu begreifen, dass sie in dem Augenblick, in dem Javits getroffen worden war, abseitsgesessen hatte und die Situation nur dazu benutzte, in die Nähe des berühmten Filmverleihers zu kommen.
Savoy sitzt jetzt im Wartezimmer des Krankenhauses, vor sich zwei Berichte.
Der erste stammt vom diensthabenden Arzt und besteht aus zwei Seiten Fachchinesisch zu den Schäden, die im Organismus des Mannes hervorgerufen worden sind, der jetzt auf der Intensivstation liegt: Vergiftung durch unbekannte Substanz mittels Einstich links von der Lendenwirbelsäule. Gerade wird die Substanz, die sich an der Nadel befand, mit der das Gift in den Körper gespritzt wurde, im Labor untersucht. Das einzige Gift, das ebenso heftig und schnell wirkt, ist Strichnin, doch das bewirkt Krämpfe. Den Sicherheitskräften zufolge, die durch die Sanitäter und die junge Frau im Wartesaal bestätigt worden waren, hatte es diese Symptome nicht gegeben. Es waren im Gegenteil sofortige Lähmungserscheinungen beobachtet worden, der Oberkörper sei nach vorn gefallen und das Opfer habe unauffällig aus dem Zelt geschafft werden können.
Der zweite, sehr viel längere Bericht kam von der epctf (der Taskforce der europäischen Polizeichefs) und der europol (Europäische Polizei), die das Opfer beschattet hatten, seit es
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