Der Sieger bleibt allein (German Edition)
je meinen gegenwärtigen Arbeitsplatz verlasse, dann nur, um mein eigenes Label zu gründen, bei dem ich alles anders machen will als bis jetzt üblich.«
Der Couturier hatte gelacht.
»Sie kennen doch die Modewelt? Sie haben sicher schon von der Fédération gehört, nicht wahr? Ausländer müssen sich gewaltig anstrengen, wenn sie dort aufgenommen werden wollen.«
Die Fédération française de la couture sei einer der exklusivsten Clubs der Welt. Er lege fest, wer auf der Modewoche in Paris teilnimmt und wer nicht, und diktiere die Regeln für die Teilnehmer. Der 1868 gegründete Verband besitze ungeheure Macht: Er habe den Begriff »Haute Couture« registrieren lassen, so dass niemand ohne seine Einwilligung diesen Ausdruck benutzen könne, ohne Gefahr zu laufen, vor Gericht gestellt zu werden. Die Fédération sei der Herausgeber der zehntausend Exemplare des offiziellen Katalogs der beiden großen jährlichen Veranstaltungen, sie entscheide, wie die zweitausend Akkreditierungen für Journalisten aus aller Welt vergeben würden, sie bestimme, welche der großen Käufer zugelassen würden, sie bestimme den Veranstaltungsort der Modenschauen – je nach Bedeutung des Couturiers.
»Ich weiß«, hatte Hamid entgegnet und damit das Gespräch beendet. Dem arrivierten Couturier war klar, dass dem Mann, mit dem er gerade geredet hatte, eine große Zukunft als Modeschöpfer bevorstand. Aber er wusste auch, dass sie niemals Freunde werden würden.
Sechs Monate später war alles für Hamids großes Abenteuer bereit. Er kündigte seine Stelle, eröffnete seine erste Boutique in Saint-Germain-des-Prés und begann zu kämpfen, so gut er konnte. Er verlor viele Schlachten. Aber eines begriff er: Er durfte sich nicht der Tyrannei der Firmen beugen, die die Modetendenzen diktierten. Er musste originell sein, und es gelang ihm, denn er brachte nicht nur die Einfachheit der Beduinen und die Weisheit der Wüste mit, sondern auch ausgefallene, noch nie gesehene Stoffe und Finanzspezialisten.
Zwei Jahre später hatte er bereits ein halbes Dutzend große Läden im ganzen Land eröffnet und war in die Fédération aufgenommen worden – nicht nur wegen seiner Begabung, sondern auch wegen der Kontakte des Scheichs, dessen Gesandte über die Konzessionen für französische Unternehmen in seinem Land hart verhandelten.
Die Zeit verging, die Menschen änderten ihre Meinung, Präsidenten wurden gewählt und wieder abgewählt, die Computertechnologie wurde immer wichtiger, das Internet beherrschte allmählich weltweit die Kommunikation, die öffentliche Meinung gewann in allen Bereichen menschlichen Handelns größere Bedeutung, und Luxus und Glamour nahmen ihren alten Platz ein. Was Hamid auch entwarf, war jetzt überall auf der Welt zu finden, und zwar nicht mehr nur in der Mode, sondern auch bei Accessoires, Möbeln, Schönheitsprodukten, Uhren und exklusiven Stoffen.
Hamid stand jetzt an der Spitze eines Imperiums, und alle, die in seinen Traum investiert hatten, sahen sich mit den Dividenden, die er an die Aktionäre ausschüttete, überreich entschädigt. Er überwachte weiterhin einen großen Teil der Produktion seines Unternehmens, war bei Fotosessions zugegen, zeichnete seine Entwürfe selber, fuhr mindestens drei Mal im Jahr in die Wüste, betete dort am Grab seines Vaters und erstattete dem Scheich Bericht. Außerdem hatte er eine neue Herausforderung gefunden: die Produktion eines Films.
Hamid schaut auf die Uhr und sagt Ewa, es sei Zeit aufzubrechen. Sie fragt, ob sie denn unbedingt dorthin gehen müssten.
»Nicht unbedingt. Aber ich wäre gern anwesend.«
Ewa erhebt sich. Hamid wirft einen letzten Blick auf den allein dasitzenden berühmten Couturier, der geistesabwesend aufs Mittelmeer schaut.
16 Uhr 07
Wenn man jung ist, träumt man davon, die Welt zu retten. Einige vergessen diesen Traum schnell, denn sie sind später überzeugt, dass es andere, wichtigere Dinge zu tun gibt – wie beispielsweise eine Familie zu gründen, Geld zu verdienen, zu reisen, eine Fremdsprache zu lernen. Andere hingegen entscheiden sich dafür, an etwas mitzuarbeiten, was die Gesellschaft verändert, um kommenden Generationen eine bessere Welt zu hinterlassen.
Und dann wählen sie einen Beruf: Sie werden Politiker (die anfangs immer der Gesellschaft helfen wollen), Sozialarbeiter (die immer glauben, dass Verbrechen im Klassenunterschied begründet sind), Künstler (die glauben, man müsse bei null wieder neu anfangen)
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