Der Sieger bleibt allein (German Edition)
kleine goldene Hamid-Hussein-Ledertasche. Der Androgyne öffnet sie, holt das Papier heraus, das sie in Form hält, stopft einen Teil wieder hinein und betrachtet das Ergebnis mit demselben abwesenden Blick, scheint aber zufrieden zu sein und überreicht ihr die Tasche.
Die Frau händigt Gabriela vier Kopien eines umfangreichen Vertrages aus, an dessen Rand überall kleine rote Haftzettel sind, auf denen ›Hier unterschreiben‹ steht.
»Entweder du unterschreibst ihn unbesehen, oder du nimmst ihn mit nach Hause und rufst deinen Anwalt an und sagst, du brauchst noch Bedenkzeit. Die Stufen wirst du so oder so hinaufgehen, daran lässt sich nichts mehr ändern. Aber wenn der Vertrag nicht morgen früh wieder da ist, musst du nur noch das Kleid zurückgeben, und das ist es dann gewesen.«
Gabriela erinnert sich an die sms ihrer Agentin: Akzeptiere alles! Sie nimmt den Kugelschreiber, den ihr die Frau hinhält, blättert zu den Seiten mit den Haftzetteln, unterzeichnet alles sofort. Sie hat nichts, wirklich gar nichts zu verlieren. Wenn die Klauseln nicht angemessen sind, wird sie sie bestimmt später vor Gericht anfechten können mit der Begründung, sie hätte unter Druck unterzeichnen müssen. Aber jetzt muss sie erst einmal alles tun, was nötig ist, damit ihr Traum weitergeht.
Die Frau sammelt die Kopien ein und geht, ohne sich zu verabschieden. Michelangelo baut das Make-up-Studio wieder auseinander. Er ist in seiner Welt versunken, in der Ungerechtigkeit das einzige Gesetz ist, seine Arbeit nie anerkannt wird, er keine Zeit hat zu tun, was er gern möchte, und in der, wenn etwas schiefläuft, immer er die Schuld hat. Der Androgyne bedeutet Gabriela, ihn zur Tür der Suite zu begleiten. Er schaut auf die Uhr – auf deren Zifferblatt Gabriela einen Totenkopf erkennen kann – und spricht sie zum ersten Mal an.
»Wir haben noch drei Minuten. So zurechtgemacht kannst du nicht vor dem Hotel warten. Ich werde dich dann zur Limousine bringen.«
Die Anspannung ist wieder da: Gabriela denkt jetzt nicht mehr an die Limousine, den Filmstar, den roten Teppich – sie hat Angst. Sie muss jetzt unbedingt mit jemandem reden.
»Was hat es mit dieser Suite auf sich? Warum sind da so viele verschiedene Sachen?«
»Es gibt sogar eine Safari nach Kenia«, sagt der Androgyne und zeigt in eine Ecke. Sie hatte das diskrete Banner einer Luftfahrtgesellschaft und ein paar Briefumschläge auf einem Tisch nicht gesehen. »Gratis, wie alles sonst hier, mit Ausnahme der Kleider und der Einrichtungsgegenstände des ›Tempels‹.«
Kaffeemaschinen, elektronische Apparate, Kleider, Taschen, Uhren, Modeschmuck, eine Safari nach Kenia.
Alles vollkommen gratis?
»Ich weiß, was du denkst«, sagt der Androgyne mit einer Stimme, die weder männlich noch weiblich klingt, sondern wie die eines interstellaren Wesens: »Ja, alles ist gratis. Besser gesagt, es ist ein ehrbares Tauschgeschäft, denn umsonst gibt es auf dieser Welt gar nichts. Dies ist einer der vielen ›Geschenksalons‹, die während des Festivals überall in Cannes entstehen. Die Auserwählten kommen dorthin und suchen sich aus, was sie wollen. Das sind Leute, die mit einer Bluse von A und einer Brille von B herumlaufen, sie werden andere wichtige Leute bei sich zu Hause empfangen und ihnen zum Schluss einen Kaffee mit der neuen Kaffeemaschine zubereiten. Sie werden ihre Computer in den von C gefertigten Taschen herumtragen und am Ende die Cremes von D empfehlen, die in Kürze auf den Markt gebracht werden, und sie werden sich dabei wichtig vorkommen, denn sie haben etwas Exklusives, etwas, was es noch nicht einmal im Fachhandel gibt. Sie werden mit dem Modeschmuck von E an den Swimmingpool gehen, werden mit dem Gürtel von G fotografiert werden – all das gibt es noch nicht zu kaufen. Wenn diese Dinge auf den Markt kommen, haben die Angehörigen der Superklasse bereits die nötige Werbung für sie gemacht – nicht, weil ihnen das Spaß macht, sondern einfach nur, weil niemand sonst diese Dinge bekommen kann. Sobald die nämlich erhältlich sind, werden die gewöhnlichen Sterblichen ein Heidengeld ausgeben, um sich diese Produkte zu kaufen.
Nichts einfacher als das, mein Liebe. Die Hersteller investieren in ein paar Warenproben und die Auserwählten werden zu wandelnden Werbeplakaten. ›Aber freu dich nicht zu früh. Du bist noch nicht dort angekommen!‹«
»Und was hat die Safari nach Kenia mit alldem zu tun?«
»Kannst du dir eine bessere Werbung als ein Paar
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