Der Sieger bleibt allein (German Edition)
vorstellen, das begeistert von seinem ›Abenteuer im Urwald‹ zurückkommt, die Kamera voller Fotos, und allen seinen Freunden diese exklusive Reise empfiehlt? Alle seine Freunde werden das auch erleben wollen. Ich wiederhole: Auf dieser Welt gibt es gar nichts umsonst. Übrigens sind die drei Minuten jetzt um, es wird Zeit hinunterzugehen, der rote Teppich wartet.«
Unten steht ein weißer Maybach für sie bereit. Der Fahrer, in Handschuhen und mit Mütze, öffnet den Schlag. Der Androgyne gibt Gabriela letzte Anweisungen.
»Vergiss den Film! Du gehst nicht wegen des Films, der heute im Palais des Congrès gezeigt wird, über den roten Teppich die Stufen hinauf. Wenn du oben angekommen bist, begrüße den Leiter des Festivals, den Bürgermeister, und sobald du drinnen bist, gehst du zu den Waschräumen im ersten Stock; von dort aus gehst bis zum Ende des Flurs, dann nach links und verlässt das Gebäude durch einen Seiteneingang. Dort wirst du erwartet. Die betreffende Person weiß, was du anhast, und wird dich zu einer erneuten Make-up- und Hairstylingsession bringen. Anschließend wirst du dich in Cap d’Antibes kurz auf einer Terrasse ausruhen können. Ich treffe dich dann dort und bringe dich zum Galadinner.«
»Aber werden der Regisseur und die Produzenten nicht verärgert sein?«
Der Androgyne zuckt mit den Achseln und geht mit seinem seltsamen, abgehackten Gang ins Hotel zurück. Der Film? Der Film ist vollkommen unwichtig. Wichtig ist:
Der rote Teppich!
Der Korridor des Ruhms, von dem alle träumen, der Ort, auf dem alle Prominenten aus der Welt des Films, der Kunst, des großen Luxus fotografiert werden. Anschließend wird das Fotomaterial von Agenturen in alle vier Himmelsrichtungen verschickt.
»Ist die Aircondition so recht, Madame?«
Sie nickt dem Fahrer zu.
»Wenn Sie etwas trinken möchten: In der Konsole links von Ihnen befindet sich eine Flasche Champagner.«
Gabriela öffnet die Konsole, nimmt ein Kristallglas heraus, hält die Arme weit von ihrem Kleid weg, hört das Geräusch des Korkens, der sich aus der Flasche löst, schenkt sich das Glas voll, trinkt es sofort aus und schenkt sich erneut ein. Draußen versuchen neugierige Köpfe zu sehen, wer in diesem riesigen Wagen mit den Rauchglasscheiben sitzt, der auf der reservierten Fahrspur vorbeifährt. Bald wird der Filmstar zusteigen, und vielleicht wird das nicht nur der Beginn einer Karriere, sondern auch einer unglaublich schönen, intensiven Liebesgeschichte.
Sie ist eine romantische Frau und stolz darauf.
Ihr fällt ein, dass sie ihre eigenen Kleider und ihre Handtasche im »Geschenksalon« vergessen hat. Sie hat keinen Schlüssel zum Apartment, in dem sie untergebracht ist. Wo soll sie nach dem Ende des Abends hingehen? Wenn sie irgendwann einmal ein Buch über ihr Leben schreibt, wird ihr niemand glauben, was an diesem Tag alles passiert ist: Sie ist verkatert in einem Apartment aufgewacht, in dem auf dem Boden überall Wäsche und Matratzen herumlagen – und sechs Stunden später sitzt sie in einer Limousine, bereit, vor einer Meute Journalisten neben einem der begehrtesten Männer der Welt auf dem roten Teppich die Stufen zum Palais des Congrès hochzugehen.
Ihre Hände zittern. Sie überlegt, ob sie noch ein Glas trinken soll, verzichtet aber darauf, weil sie nicht Gefahr laufen will, betrunken auf den Stufen des Ruhms zu erscheinen.
›Entspann dich, Gabriela! Vergiss nicht, wer du bist! Lass dich nicht von allem beeindrucken, was jetzt gerade geschieht – sei realistisch!‹
Sie wiederholt diese Sätze wie ein Mantra, bis sie beim Martinez angelangt sind. Aber, ob sie will oder nicht, sie wird nie wieder die sein können, die sie vorher gewesen war. Aus ihrer augenblicklichen Lage gibt es keinen Notausgang. Es gibt nur den Weg, den der Androgyne ihr angegeben hat, und der führt einen noch höheren Berg hinauf.
16 Uhr 52
Sogar der König der Könige, Jesus Christus, hat der Versuchung widerstehen müssen, der sich Igor jetzt ausgesetzt sieht: der Verführung durch den Teufel. Und er muss sich jetzt mit Zähnen und Klauen an seinen Glauben klammern, um bei seiner Mission nicht zu versagen.
Der Teufel bittet ihn, aufzuhören, zu vergeben, dies alles zu lassen. Der Teufel ist ein erstklassiger Profi, der weiß, wie man in den Schwachen Angst, Sorgen, Ohnmachtsgefühle, Verzweiflung weckt.
Bei den Starken sind die Versuchungen sehr viel raffinierter: gute Absichten. Die hat er Jesus vorgegaukelt, als er ihn
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