Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Igors Schreibtisch landeten und ihm mehr bedeuteten als die Papiere, die er unterzeichnen, die Einladungen, die er annehmen, Geschenke, die er an wichtige Kunden, Lieferanten, Politiker, Unternehmer schicken musste.
Die Aufzeichnungen waren sehr nützlich – und hatten ihn mehr leiden lassen als die Fotos. Durch sie hatte er erfahren, dass die Beziehung zu dem berühmten Couturier zwei Jahre zuvor während der Modewoche in Mailand begonnen hatte, wo die beiden sich beruflich begegnet waren. Anfangs hatte Ewa widerstanden – der Mann war immer von den schönsten Frauen der Welt umringt und Ewa bereits 38 Jahre alt. Dennoch waren sie eine Woche später in Paris miteinander ins Bett gegangen.
Als Igor davon erfuhr, bemerkte er, dass ihn der Gedanke erregte, dass seine Frau mit einem anderen Mann schlief, und er verstand die Reaktion seines Körpers nicht recht. Wieso führte allein die Vorstellung, dass seine Frau mit gespreizten Beinen dalag, während ein anderer Mann in sie eindrang, dazu, dass er eine Erektion bekam, anstatt Abscheu zu empfinden?
Das war der Augenblick, als Igor befürchtete, den Verstand zu verlieren. Und er beschloss, eine Art öffentlicher Beichte abzulegen, um seine Schuldgefühle zu mildern. Er erzählte Bekannten von »einem Freund«, der körperlich sehr erregt gewesen sei, als er erfuhr, dass seine Frau fremdging. Und er erlebte eine Überraschung.
Seine Bekannten, zumeist hochkarätige Manager und Politiker unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, zeigten sich anfangs entsetzt. Aber nach dem zehnten Glas Wodka gestanden viele, dass so was in einer Ehe äußerst erregend sein könne. Einer von ihnen bat seine Frau immer, ihm ihre Affären bis in alle Einzelheiten zu beschreiben und ihm auch nicht vorzuenthalten, welche Worte sie und welche Worte ihr Liebhaber im Bett gebraucht hatte. Ein anderer gestand, dass der Besuch von sogenannten Swingerclubs, in denen Partnertausch und Gruppensex betrieben werden, die ideale Ehetherapie sei.
Igor hielt das zwar für etwas übertrieben. Aber er war froh gewesen zu erfahren, dass er nicht der einzige Mann war, den der Gedanke erregte, dass seine Frau mit anderen Männern schlief. Aber er war auch traurig, weil die Gespräche ihm gezeigt hatten, wie wenig er über andere Menschen und vor allem über die Männer wusste, mit denen er meist nur Geschäftliches beredete und selten Privates.
Seine Gedanken kehren wieder zu den Aufzeichnungen zurück. In London (die Modewochen fanden immer eine nach der anderen statt, um den Profis das Leben zu erleichtern) hatte besagter Modedesigner Ewa seine Liebe erklärt, was nicht weiter erstaunlich war, schließlich war Ewa eine der außergewöhnlichsten Frauen der Welt. Ewa hatte aber noch Zweifel gehabt: Hussein war der zweite Mann in ihrem Leben, mit dem sie je geschlafen hatte, sie arbeiteten in derselben Branche, und sie fühlte sich ihm unendlich unterlegen. Sie hatte das Gefühl, ihren Traum aufgeben und wieder eine einfache Hausfrau werden zu müssen, denn mit ihrem zukünftigen Mann konnte sie einfach nicht konkurrieren.
Schlimmer noch: Sie konnte sich nicht erklären, wieso jemand so Mächtiges an einer fast 40-jährigen Russin interessiert sein sollte.
Igor hätte es ihr erklären können, wenn sie ihm wenigstens einmal die Gelegenheit zu einem Gespräch gegeben hätte: Wenn sie zur Tür hereinkam, ging für alle Anwesenden die Sonne auf, und alle wollten ihr Bestes geben, weil Ewa ihnen das Gefühl gab, dass auch sie sich von der Vergangenheit lösen und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken könnten. Igor war es ja selbst genauso ergangen, als er als junger Mann aus einem blutigen, nutzlosen Krieg zurückkehrte.
Die Versuchung kehrt zurück. Der Teufel sagt, so sei es nicht gewesen, er habe seine Traumata durch zwanghaftes Arbeiten überwunden. Auch wenn dies die Psychiater als eine psychische Störung betrachteten, so sei es in Wahrheit eine Möglichkeit, die eigenen Wunden durch Vergeben und Vergessen zu überwinden. Die Versuchung redete ihm ein, Ewa sei letztlich nicht so wichtig: Igor müsse aufhören, alle seine Gefühle mit einer Beziehung zu identifizieren, die es nicht mehr gab.
›Du bist nicht der Erste‹, wiederholte der Teufel. ›Du lässt dich darauf ein, Böses zu tun, weil du glaubst, so das Gute zu wecken.‹
Igor fängt an, nervös zu werden. Er ist ein guter Mensch, und wenn er im Leben Härte an den Tag gelegt hat, dann immer nur für einen höheren Zweck:
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