Der Sieger bleibt allein (German Edition)
großen Mühen aus, denn der Ausstieg befindet sich dicht am Boden. Er geht in die Pizzeria, bestellt eine »quattro-formaggi« zum Mitnehmen.
Maserati und Pizza. Das passt nicht zusammen. Kommt aber vor.
Die Versuchung kehrt zurück. Jetzt spricht sie nicht mehr von Vergebung, Großzügigkeit, davon, die Vergangenheit zu vergessen und voranzuschreiten – Igor kommen echte Zweifel. Und wenn Ewa nun, wie sie sagte, vollkommen unglücklich ist? Wenn sie trotz der großen Liebe, die sie für ihn empfindet, schon in dem Abgrund einer schlechten Entscheidung abgetaucht ist, aus dem es keine Wiederkehr gibt, wie einst Adam, der, als er den ihm angebotenen Apfel annahm, Verdammnis über die gesamte Menschheit brachte?
Er hat alles geplant, sagt Igor sich zum tausendsten Mal. Ursprünglich hat er sich vorgestellt, er und Ewa würden zusammen zurückfahren, er würde nicht zulassen, dass ein kleines Wort wie ›Adieu‹ ihrer beider Leben ganz und gar zerstörte. Ihm ist klar, dass es in einer Ehe immer Krisen gibt, vor allem nach fast zwanzig Jahren.
Aber er weiß auch, dass ein guter Stratege seine Pläne ständig ändern muss. Er schickt Ewa eine weitere sms , um sicherzugehen, dass sie seine Botschaft auch wirklich erhält. Er steht auf, betet: Er bittet darum, dass es ihm erspart werden möge, den bitteren Trank des Verzichts zu trinken.
Die Seele der kleinen Kunsthandwerksverkäuferin ist an seiner Seite. Er begreift jetzt, dass er etwas Ungerechtes getan hat. Er hätte durchaus noch etwas warten können, bis er einen ebenbürtigen Gegner gefunden hätte wie etwa diesen Pseudoathleten mit dem hennagefärbten Haar bei jenem Lunch. Oder er hätte aus der absoluten Notwendigkeit heraus handeln können, einen Menschen vor neuem Leid zu bewahren, wie er es bei der Frau am Pier getan hatte.
Das Mädchen mit den dichten Augenbrauen aber scheint wie eine Heilige um ihn herumzuschweben und beschwört ihn, nichts zu bereuen: Er habe richtig gehandelt, indem er sie vor einer Zukunft voller Leid und Schmerzen bewahrte.
Ihre reine Seele vertreibt ganz allmählich die Versuchung, lässt ihn begreifen, dass er nicht in Cannes ist, um die Rückkehr einer verlorenen Liebe zu erzwingen – das ist unmöglich.
Er ist hier, um Ewa vor Bitterkeit und Verfall zu erretten. Auch wenn sie ihn ungerecht behandelt hat, so hat sie doch auch viel für ihn getan, und das verdient eine Belohnung.
›Ich bin ein guter Mensch.‹
Er geht zur Kasse, zahlt, kauft noch eine Flasche Mineralwasser. Im Hinausgehen gießt er sich den Inhalt über den Kopf.
Er muss klar denken. Er hatte so lange von diesem Tag geträumt, dass dieser Tag endlich käme, und jetzt ist er verwirrt.
17 Uhr 06
Die Mode mag sich alle sechs Monate ändern, doch die Anzüge der Sicherheitskräfte am Eingang bleiben immer gleich: schwarz.
Hamid hatte schon über Alternativen bei seinen Modeschauen nachgedacht – Sicherheitskräfte in farbigen Anzügen, beispielsweise. Oder alle in Weiß. Aber die Kritiker hätten dann mehr über diese »unnötigen Neuerungen« geschrieben als über das wirklich Wichtige: Hamids Kollektion auf dem Catwalk. Außerdem ist Schwarz als Farbe perfekt: konservativ, geheimnisvoll, durch die alten Hollywood-Western ins kollektive Unbewusste eingeprägt. Die Guten trugen immer weiß, die Bösen schwarz.
›Man stelle sich vor, das Weiße Haus hieße Schwarzes Haus. Alle würden glauben, dass dort der Geist der Finsternis lebt.‹
Alle Farben erfüllen einen Zweck, auch wenn man glaubt, sie würden rein zufällig ausgewählt. Weiß steht für Reinheit und Integrität. Schwarz schüchtert ein. Rot schockiert und lähmt. Gelb zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Grün lässt alles ruhig wirken, man kann weitergehen. Blau beruhigt. Orange verwirrt. Sicherheitskräfte müssen schwarz gekleidet sein. Das war von Anfang an so und musste so bleiben.
Wie immer gibt es drei Eingänge. Einen für die Presse – wenige Journalisten und viele Fotografen, die ihre ganze Ausrüstung anschleppen; sie gehen scheinbar freundlich miteinander um, sind aber auch jederzeit bereit, ihre Ellbogen einzusetzen, wenn es darum geht, den besten Winkel zu ergattern, das einzigartige Foto zu machen, den perfekten Augenblick, die schlimmste Entgleisung einzufangen. Einen zweiten Eingang für die Gäste, die nicht nur bei den Modenschauen hier in Cannes, sondern auch bei der Modewoche in Paris immer schlecht gekleidet sind und offensichtlich nicht in der Lage,
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