Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Liechtensteiner abzulenken und so Fabian beizustehen, doch mehr als einmal konnte er nicht an Justins Stock schlagen, da ein knorriger Tiroler rief: „Wollt ihr drei Lausbuben etwa disqualifiziert werden, oder was?“
Sie hörten auf. Einen Augenblick später stieß sich der Russe mit einer Art Urschrei ab und Justin musste nun an seine Position vorrücken. Es blieb für den jungen Liechtensteiner nur eine Minute, nach dem kindlichen Fechten wieder die Konzentration zu finden, für Fabian immerhin zwei. Es gelang ihm schlecht, er tauschte mit Florian nochmals ein Lächeln und fühlte sich danach, als ob seine Ski einen Zentimeter über dem Boden schweben würden.
Justin stieß ab und erhöhte mit zwei Schlittschuhschritten das Tempo in Richtung Mausefalle. Nur bis zu diesem berüchtigten Sprung konnte Fabian die Fahrt verfolgen.
„Erstaunlich, die Piste ist offenbar schneller geworden“, hörte Fabian den Tiroler von vorhin zum Kollegen an der Schranke plaudern. Er konnte nicht mehr darüber nachdenken, was gemeint war. Jetzt mussten alle Gedanken aus seinem Kopf, die nichts mit der Streif zu tun hatten. Er dachte daran, dass er als Bub vor dem Fernseher immer geträumt hatte, einmal hier an den Start zu gehen, und jetzt würde das gleich Wirklichkeit werden, im echten Rennen, nicht nur im Training.
„Das Schweizer Fernsehen wartet euch Kindsköpfe no ab“, teilte der Helfer an der Schanke mit. Das Adrenalin sammelte sich in Fabians Körper beim Blick die steilen Kurven bis zur Mausefalle hinunter. Eine alpine Abfahrt ist auch eine Art Kunstwerk, dachte er sich: Eine ideale Linie wird den Berg hinuntergezogen, gezeichnet von der Hand eines Genies. Das wäre mal was, wenigstens bei einer Zwischenzeit einen einstelligen Rang zu haben! Das könnte der entscheidende Schritt in Richtung Olympiateilnahme sein, motivierte er sich.
Ein kurzes elektronisches Signal kündigte die letzten zehn Sekunden an. Er rutschte dicht an die Schanke heran und steckte die Stöcke in den Schnee davor, während sein Puls schnell anstieg. Die Piepser folgten nun in Sekundenabständen – und los!
Die Angst müsse im Starthäuschen zurückbleiben, hatte ihm der Sieger eines vergangenen Jahres kürzlich geraten. Fabians Geschwindigkeit nahm rasch zu. Ein leichtes Stück zum Gewöhnen gab es nicht auf der Streif: Rechtskurve, Linkskurve – die Strecke war schnell und eisig. Schon folgte der Sprung in die Mausefalle, einen unglaublich steilen Hang. Der junge Glarner riss sich zusammen und machte trotz aufkommender Panik kaum auf, blieb kompakt wie sein Vorbild, der aus dem Kanton Wallis stammende Johann Ulrichen, der seit Jahren regelmäßig aufs Podest fuhr. Fabian ging noch im Flug wieder in die Hocke. Beim Aufprall auf die Eisplatten der Mausefalle schlug es ihm schmerzhaft in die Knie und die folgende Kompression drückte ihn schier platt. Er versuchte, in der nächsten Linkskurve lockerer zu werden. „Die Ski müssen gleiten und nicht quer rutschen“, hatte Saubauer seinen Rennläufern bei der Besichtigung geraten. „Erst nach links ausholen und dann nach rechts!“ Die Hightech-Ski klapperten auf dem Eis im „U-Turn“.
In dem Steilhang, der dieser Wende folgte, musste man nun so klein wie möglich werden, um Geschwindigkeit fürs Gleiterstück aufzunehmen. Das Tempo hatte etwas Euphorisierendes für Fabian. Das gefiel ihm! Eine Schweizer Fahne wurde geschwenkt –– und schon war er daran vorbeigehuscht. Er fühlte sich bei der Einfahrt ins Gleiterstück viel besser als beim Training. Bei jenem Lauf hatte er das Fangnetz auf der linken Seite gestreift und dadurch Schwung verloren – jetzt konnte er mit Glück einen Meter Abstand halten und das Tempo aus dem Steilhang mitnehmen. Er müsse schon etwas zeigen, dachte er sich, wenn Karl Frehsner im Fernsehen genau hinschaute, welche Linie er fuhr. Als blutiger Anfänger wollte er sich vor dem Altmeister nicht präsentieren und auch Florian wollte er gerne zeigen, dass der 41. Rang vom Vortag ein Ausrutscher gewesen war. Der hübsche Schwarzwälder würde ja kaum einen Versager als Kumpel wollen. Er versuchte nun, hier im Gleiterstück die Skier flach gleiten zu lassen und die im Windkanal ermittelte optimale Position einzunehmen.
Fabian sauste durch die hohle Gasse aus Fangnetzen – schneller, als es auf einer Schweizer Autobahn erlaubt wäre. Nun mussten die Skier einfach laufen im Gschöss! Sein Gefühl sagte ihm, dass die Stangen, die die roten Netze links und rechts
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