Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
verschwanden, um die Streif in Angriff zu nehmen.
„Auch nervös, Mr Bieber?“ Fabian tippte den jungen Liechtensteiner an. Dessen Freundin Vanessa hatte neulich von der Ähnlichkeit zwischen ihrem Justin und dem gleichnamigen Teenie-Popstar Justin Bieber geschwärmt. Seither zogen Fabian und Florian ihn damit auf, er sei der Mädchenschwarm des Skizirkus. Sogar der Reporter des Liechtensteiner Fürstenboten hatte sich einmal versprochen – zusätzlich zu den identischen Vornahmen ähnelten sich ja auch die Nachnamen Bieber und Bend. Seither war dieser Scherz unter den Rennläufern Standard. Justin legte dann immer auf die Feststellung wert, er sei um einen Kopf größer als der Sänger, hätte hellere Haare und auch ein paar Muskeln mehr – obwohl er hier im Feld der Rennläufer eigentlich zu den Schlankesten gehörte.
„Na komm, Ski-Punk! Du darfst gleich in einem echten Rennen die Streif runtersausen, das ist doch was“, versuchte Justin seinen Kumpel Fabian aufzubauen. Er streckte die Faust aus und endlich stieg ein Grinsen ins Gesicht des langhaarigen Glarners und die Fäuste der beiden jungen Sportler stießen zusammen. Eigentlich hielt sich Fabian vom Stil her nicht für einen echten Punk: Seine schulterlangen roten Haare würden eher zu Gothic passen, wenn er sie dunkel färben würde, aber alle nannten ihn nun mal „Ski-Punk“. Jedenfalls war Justin mit seinem Lausbubengesicht jemand, der sich wie Fabian nicht immer an gutbürgerliche Konventionen hielt, und deshalb kamen die beiden gut miteinander aus.
„Bitt’ schön, die Herren! Falls ihr heut’ nichts anderes vorhabt – in zwanzig Minuten seid ihr dran“, ermahnte sie ihr aus Österreich stammender Trainer Alfons-Maria Saubauer und rückte kurz seine Baskenmütze zurecht. „Der Russe David Koslow hat bis auf einen kleinen Patzer an der Hausbergkante einen Sensationslauf hingelegt und führt mit 57 Hundertsteln vor meinem Landsmann Jörg Pesenbauer, falls euch das Klassement interessiert“, berichtete er, während er durch seine kleine, runde Sonnenbrille mit finsterer Miene darüber wachte, dass seine beiden Schützlinge tatsächlich die von ihm vorgeschriebenen Dehnungsübungen ausführten.
„Saubi, Tipp für mich?“, fragte Fabian.
„iPod-Ohrenstöpsel raus und alle Knochen ins Ziel bringen“, antwortete der Trainer und drückte ihm den Helm in die Hand. „Der Frehsner Karl ist neulich fast in Ohnmacht g’fallen, als ich ihm erzählt hab, dass ich einen rothaarigen Punk trainiere. Aber er hat mir interessante Tipps gegeben, wie so einem Rebellen anständige Leistungen zu entlocken seien. Vielleicht kannst du mal einen Tag mit ihm trainieren und den verwöhnten Liechtensteiner gleich mitnehmen, während wir anderen im Kaukasus sind. Der Frehsner wird sich eure Fahrt heute im Fernsehen genau anschauen.“
„Das wäre schon cool“, versuchte Justin höflich zu sein. Karl Frehsner hatte lange Zeit Schweizer Herren- und Damenmannschaften trainiert und seine Alpin-Sportlerinnen und -Sportler hatten unter ihm 53 Medaillen in internationalen Titelwettkämpfen gewonnen. Er war Saubauers großes Vorbild, wie dieser des Öfteren betont hatte.
„Nicht cool, sondern eine Ehre“, korrigierte Saubauer. „Versprechen kann er euch beiden den Trainingstag noch nicht: Es kommt darauf an, wie er sich im Februar fühle, meint er – er ist ja nicht mehr der Jüngste.“
Mit dem berühmtesten Ski-Trainer der Welt einen Tag zu verbringen, wäre schon nicht schlecht, dachte sich Fabian, denn für sein Ziel, eines Tages in die vordersten Ränge eingreifen zu können, wären die Tipps des Altmeisters bestimmt nützlich. Saubauer drehte sich von den beiden jungen Rennfahrern weg und zückte sein Handy.
„Monti, i fahr gleich mit dem Klaus in den Zielraum runter. Der Rothaarige und der Liechtensteiner werden wohl das Starthaus allein finden“, quatschte er in sein Handy. Klaus Linthaler war Fabians Onkel und der Experte und Verantwortliche für das Material des Teams. „Wenn die beiden einen zweistelligen anstelle eines dreistelligen Rangs rausfahren, haben wir noch Glück g’habt“, lästerte Saubauer in sein Handy.
Er telefonierte mit Cesare Monti, dem Teamchef der Alpin-Herren. Monti befand sich wie meistens bei den Weltcup-Rennen im Zielraum und nicht wie manche seiner Kollegen bei Schlüsselstellen an der Piste.
„He, Saubi, bring’s auf den Punkt! Was mach ich falsch?“, rief Fabian dem weggehenden Saubauer verärgert nach. Die
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