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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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und sagte: »Nein!«
    »Und warum sollte ich Ihnen das glauben?«
    »Frag diesen Mann dort.« Saraf deutete auf den Psychologen.
    Leary begann nervös auf seinem Klappstuhl umherzurutschen.
    »Können Sie sich erklären, was Mr Saraf Argyr damit andeuten will?«, richtete der Colonel nun sein Wort an den Psychologen.
    »Ja, das kann ich«, antwortete Leary wie aus der Pistole geschossen. »Ich habe mehrmals Gespräche mit verschiedenen Mitgliedern des Großen Rates der Silbernen geführt, zuletzt auch mit Ugranfir, kurz nach dem Zwischenfall mit dem Jäger und den drei Wai-Wais. Die Unterredung war sehr emotionsgeladen. Möglicherweise glaubt Saraf, meine Worte könnten seinen Ratsbruder zum Suizid bewegt haben.«
    »Und was sagen Sie dazu?«, erkundigte sich Hoogeven bei Saraf, nachdem er die Worte des Psychologen hatte übersetzen lassen.
    Der Silbermann blickte nicht den Kommandanten, sondern Leary an, als er antwortete.
    »Wovor hast du Angst?«
    Yeremi gefiel es absolut nicht, ausgerechnet auf Al Learys Gnade und Fürsprache angewiesen zu sein. Vor Jahren hatte sie beschlossen, niemals wieder von ihm abhängig zu werden, und nun musste sie diesen schweren Rückschlag hinnehmen. Ihre derzeitige Situation empfand sie als einen Verlust der Selbstkontrolle, der sie emotional mehr belastete, als sie sich eingestehen wollte. Zusätzlich verunsichernd wirkten auf sie die vielen ungelösten Fragen rund um die Person Saraf Argyrs. Die Wissenschaftlerin in ihr mahnte zu kühler und rationaler Zusammenarbeit mit dem Hüter des Silbernen Volkes – er schien sie in ihrem Bemühen um Ausgleich zwischen den Fronten sogar zu unterstützen –, aber je ohnmächtiger sie sich in ihrer Führungsrolle vorkam, desto mehr fürchtete sie eine Vereinnahmung ihrer Gefühle durch das stille Sippenoberhaupt. Ihre Eltern waren einst in den Tod gegangen, weil sie ihren Verführer zu spät entlarvt hatten. Niemals sollte ihr das Gleiche widerfahren.
    Acht Tage nach dem mysteriösen Todesfall war der genaue Hergang von Ugranfirs Ableben noch immer nicht bekannt, aber der Psychologe de facto zum Expeditionsleiter avanciert. Sämtliche Bewegungen der Forscher wie auch des Silbernen Volkes wurden vom Militär kontrolliert. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit war eine Normalität im Lager eingekehrt, die Yeremi angesichts der martialischen Kulisse als unwirklich empfand. Aber sie hatte aufgehört, offen gegen Leary anzukämpfen; das glaubte sie den Teammitgliedern und vor allem dem Silbernen Volk schuldig zu sein. Es gab noch so viel zu lernen über diese erstaunlichen Menschen.
    Auf dem Papier leitete Yeremi immer noch den wissenschaftlichen Teil der Expedition, wenngleich nichts ohne eine funktionierende Kommunikation mit dem Befehlshaber der so genannten Schutztruppe ging. Grund genug für Yeremi, ihrem allseits gelobten »Verbindungsoffizier« hin und wieder einen Seitenhieb zu versetzen.
    »Na, kommst wohl gerade von einem Kameradschaftsabend mit deinem Kumpel Hoogeven«, begrüßte sie den Psychologen, als sie ihn am Abend des 17. November im Lager traf.
    »Ohne mich hätte dir der Colonel vermutlich längst die Kehle durchgebissen.«
    »Oder ich ihm die Augen ausgekratzt. Katzen sind wehrhafte Tiere. Sein Machogehabe geht mir jedenfalls gewaltig gegen den Strich.«
    Leary schien ihr gar nicht richtig zuzuhören. Nervös blickte er auf seine Armbanduhr und sagte: »Dann sei froh, dass ich dir den unbequemen Teil unserer Zusammenarbeit abnehme. Ich muss noch einige Dinge für morgen vorbereiten. Du entschuldigst mich.«
    Ohne Yeremis Antwort abzuwarten, entschwand er.
    Yeremi verbuchte einen kleinen Bonus auf dem Konto ihrer Sticheleien und setzte ihren Rundgang durch das Lager fort. Seit der Entdeckung der Höhlen vor gut drei Wochen war so viel geschehen! Sie vermisste die Wai-Wais mit ihren manchmal so kindlichen, dann wieder greisenhaft weisen Eigentümlichkeiten. Das Fehlen von Wachanas Stammesbrüdern machte sich nicht nur auf dem Speisezettel bemerkbar.
    Zwei Soldaten kamen ihr entgegen, grüßten und setzten, miteinander flüsternd, ihren Kontrollgang fort. Yeremi erreichte das Zelt von Dave Clarke. Der Botaniker gehörte eindeutig zu den Aktivposten ihres Teams, weswegen sie ihm mittlerweile einen etwas vertraulicheren Umgangston zugestand als anderen Mitgliedern der Expedition. Er saß auf einem Klappstuhl aus Leichtmetallrohr und grünem Nylongewebe, den Blick bewundernd auf einen Blütenstängel gerichtet, den er in der Hand

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