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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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größter Sorge. Anfangs hatte sie sich noch aus Kalifornien Schützenhilfe erhofft; ihre Erwartung wurde jedoch enttäuscht. McFarell erlegte ihr nach vorheriger Abstimmung mit Flatstone strenge Zurückhaltung auf. Die Expedition dürfe nicht durch Ressentiments, gleich welcher Seite, gefährdet werden. Wenn nötig, solle sie sämtliche Kontakte mit den Militärs über ihren Stellvertreter laufen lassen.
    Es blieb ihr kaum eine andere Wahl. Al Leary verstand sich bestens mit Colonel Hoogeven, nach Yeremis Dafürhalten sogar zu gut. Immer häufiger traf er Entscheidungen, ohne sie vorher zu konsultieren, manchmal informierte er sie nicht einmal nachträglich.
    Auch Saraf Argyr blies der Wind nun scharf ins Gesicht. Er konnte von Glück sagen, dass der Colonel ihn nicht sofort arretiert hatte. Sose und Hoogeven hielten ihn für den Hauptverdächtigen im Mordfall Ugranfir, ein Freitod oder ein rituelles Opfer erschien ihnen unwahrscheinlich.
    Der Hüter des Silbernen Volkes wurde wenige Stunden nach Abflug des dritten Hubschraubers mit einer bewaffneten Eskorte aus GDF-Soldaten zu seinem ersten Verhör in das Zelt des Kommandanten geführt. Yeremi und Leary durften Hoogeven und Sose als Berater zur Seite stehen. Außer ihnen war nur noch Second Lieutenant John Benmer zugegen, ein Indianer aus dem Stamm der Wapisiana, der einzigen ethnischen Gruppe Zentral-Guyanas, die zur arawakischen Sprachfamilie gehörte.
    Als Saraf Argyrs Vernehmung begann, wäre Yeremi am liebsten im Boden versunken, so demütigend empfand sie das Prozedere. Der Silbermann selbst ertrug die Fragen der Regierungsvertreter mit einer bewundernswerten Würde.
    »Name?«, schnarrte Sose, als sähe er den Hüter gerade zum ersten Mal. In seiner Linken klemmte eine qualmende Zigarre, in der Rechten ein Filzstift zum Ausfüllen des Verhörformulars.
    »Saraf Argyr«, antwortete der Gefragte, ehe Benmer das Wort übersetzen konnte.
    Alle Blicke richteten sich verwundert auf den Silbermann.
    »Er verfügt über eine erstaunliche Auffassungsgabe und hat durch das Verfolgen der Übersetzungen schon einige Brocken Englisch gelernt«, erläuterte Yeremi.
    Obwohl ein Minidiscgerät das Verhör aufzeichnete, begann Sose den Namen umständlich in das Formular einzutragen. »Ist Argyr der zweite Vor- oder der Nachname?«
    »Saraf Argyr ist mein ganzer Name«, erwiderte der Hüter auf Arawakisch, während er mit versteinerter Miene Al Leary fixierte.
    »Alter?«, fuhr Sose fort.
    »Bald einundvierzig Jahre.«
    Yeremis Aufmerksamkeit wurde für einen Augenblick von einer bizarren Assoziation gestört, einem seltsamen Zahlenspiel, das sich ihr aus unerfindlichem Grund aufdrängte.
     
    1 Silberjahr = 12 Mondjahre
    12 mal 41 = 492 Jahre
    2005 minus 492 = 1513
    Ungefähr zu dieser Zeit begannen Hernan Cortes und
    andere Konquistadoren mit dem Segen der spanischen Krone die Neue Welt zu erobern…
     
    »… ich habe Sie nach Ihrem Geschlecht gefragt?« Soses entnervte Stimme riss Yeremi in die Wirklichkeit des 10. November 2005 zurück.
    »Und ich sagte, ich stamme aus dem Geschlecht derer von Kerne. Mein Ahnherr ist Atlax vom Meer.«
    Sose sog an seiner Zigarre und blinzelte dabei missmutig das Formblatt an. »Ich habe hier nur ›männlich‹ und ›weiblich‹ zur Auswahl.«
    »Kreuzen Sie ›weiblich‹ an«, knurrte Hoogeven. Er saß mit vor der Brust verschränkten Armen in einem viel zu klein wirkenden Klappstuhl und starrte auf Sarafs Wickelrock.
    Sose blickte verwirrt von dem Vordruck auf. »Wie bitte?«
    »Männlich, Sie Schwachkopf!«, herrschte der Kommandant seinen Protokollführer an. »Sie sehen doch, dass es ein Kerl ist.«
    »Und die Sache mit Atlax aus dem Meer?«
    »Die lassen wir unter den Tisch fallen.«
    Sose machte gehorsam sein Kreuz, sammelte sich und visierte dann wieder Saraf an. »Hautfarbe?«
    »Silbern.«
    Der Vernehmungsbeamte stöhnte. Er ahnte bereits, worüber ihm sein Formular nach kurzer Prüfung Gewissheit gab. Indigniert sah er davon auf. »Ich könnte Ihnen ›weiß‹ anbieten.«
    Hoogeven riss Sose den Filzstift aus der Hand, kreuzte eigenhändig ›weiß‹ an, schubste das Blatt zu dem Beamten zurück und wandte sich nun direkt an den Verdächtigen.
    »Haben Sie den Mann, dessen Tod unter dem Namen Ugranfir gemeldet ist, in den Abgrund gestoßen?«
    Während Benmer übersetzte, lag Sarafs trauriger Blick auf Yeremis Gesicht. Dann folgte Stille.
    »Bitte antworten Sie!«, verlangte Hoogeven.
    Endlich drehte ihm Saraf den Kopf zu

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