Der silberne Sinn
erhofft hatte und stattdessen dem Tod begegnet war. Während die Soldaten aus dem Helikopter sprangen und das Terrain sicherten, saß sie zitternd auf ihrer Schlafmatte und weinte hemmungslos. Erst als Irma Block zu ihr ins Zelt trat, um sie zu trösten, beruhigte sie sich allmählich. Die Fotografin hielt Ugranfirs Tod und die dramatische Zuspitzung der Lage für den Auslöser von Yeremis desolatem Zustand.
»Wenn eine Expedition so viel versprechend beginnt und urplötzlich zu einer Militäraktion mutiert, dann würde jeder die Nerven verlieren«, behauptete sie und tätschelte dabei Yeremis Rücken.
Die Getröstete nickte nur, wischte sich mit einem Handtuch die Tränen aus dem Gesicht und schwieg. Von ihrer Therapeutin hatte sie gelernt, was ein Flashback ist, dieses überraschende Aufblitzen einer Erinnerung mit allen dazugehörenden Gefühlen. Man könne lernen, damit umzugehen. Irgendwann. Wozu sollte sie Irma mit dem bitteren Nachgeschmack ihrer Vergangenheit das Urwaldabenteuer verderben? Dazu schien sich die Expedition ja nun zu entwickeln.
»Wir sollten gehen und unsere ›Schutztruppen‹ begrüßen«, sagte Yeremi, schniefte und erhob sich von ihrem Lager.
»Bist du in Ordnung?«, erkundigte sich Irma besorgt.
»Mir ging’s schon mal besser. Kommst du?«
Gemeinsam verließen sie Yeremis Zelt und liefen zur Felswand hinüber. Fast das ganze Lager hatte sich bereits dort versammelt. Es war nicht nötig, der schwer bewaffneten Einheit entgegenzugehen, denn sie rückte bereits in Kampfanzügen, Tarnbemalung und mit schussbereiten Sturmgewehren über die Felsstiege vor, angeführt von einem khakifarbenen Hünen und dem Navy-Veteran Al Leary.
»Das ist Colonel Rudi Hoogeven«, stellte der Psychologe den Befehlshabenden vor, nachdem er den Namen seiner »Kollegin« genannt hatte.
Yeremi musterte den Militär argwöhnisch. Hoogeven war eine in jeder Hinsicht auffällige Erscheinung. Im Gegensatz zu seinen fast unsichtbaren Männern wirkte er in seiner Khakiuniform und mit dem roten Barett wie eine wandelnde Zielscheibe. Er war ein hoch gewachsener Mann mit breiten Schultern und einem klobigen Gesicht. Im knappen Kostüm eines Ringers hätte er auch keine schlechte Figur gemacht. Sein Stiernacken, die extrem kurz geschorenen blonden Haare, die baumdicken Arme und Oberschenkel sowie seine aggressiv funkelnden grauen Augen ließen ihn wie den Urtyp des Wrestlers erscheinen. Als er Yeremi jedoch mit einem aufgesetzten Lächeln wie ein Beutetier fixierte, verflog diese Assoziation sogleich, denn nun ähnelte er einem zähnefletschenden Bären.
»Hocherfreut, Sie kennen zu lernen, Professor Bellman. Sie sind also der Boss hier.«
Etwas an dem Gesichtsausdruck von Hoogeven gefiel Yeremi nicht. Sie war in diesem Augenblick übersensibel, ihre Nerven aufs Äußerste gereizt. Vielleicht ließ sie Hoogeven deshalb spüren, dass sie diese Begegnung nicht für den Beginn einer wunderbaren Freundschaft hielt.
»Mir wurde die Leitung dieser Expedition anvertraut, ja. Ich heiße Sie willkommen, Colonel, wenn mir auch die Reaktion der guyanischen Regierung etwas… überzogen erscheint. Zugegeben, wir haben hier einen bedauerlichen Todesfall zu beklagen, aber…«
»Aber«, fiel Hoogeven ihr schneidend ins Wort, »Sie hielten es nicht für nötig, die erforderlichen Maßnahmen zur Spurensicherung anzuordnen. Das war nicht sehr klug, Professor Bellman!«
Körpersprache, Ton und Wortwahl des Kommandanten ließen unzweifelhaft erkennen, wie wenig er von Yeremis Kompetenzen hielt, und ihre psychische Verfassung ließ keinen Spielraum für Diplomatie.
»Ich finde es reichlich kühn, Colonel, hier aus dem Hubschrauber zu springen und so zu tun, als könnten Sie die Situation bereits überblicken.«
»Manche Angelegenheiten darf man nicht mit Samthandschuhen anpacken, sonst entgleiten sie einem.«
»Es gibt auch ethische Aspekte, die zu berücksichtigen sind – gerade bei einem Unternehmen wie diesem! Ich halte meine Vorgehensweise für durchaus angemessen.«
»Und ich Ihre falsche Rücksicht für ausgesprochen schädlich«, erwiderte der Colonel in drohendem Ton. »Sie haben gegen allgemein gültige Regeln verstoßen, Professor. Offen gestanden bin ich geneigt, Ihr Verhalten als Verschleierung auszulegen.«
»Im Umgang mit fremden Kulturen braucht man Fingerspitzengefühl und keine Bajonette. Man nimmt Rücksicht auf die Empfindungen…«
»Weibische Gefühlsduselei!«, stieß Hoogeven barsch hervor. Seine Meinung
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