Der silberne Sinn
Fama. Sie hat mir sehr viel bedeutet.«
Yeremi starrte ihn entgeistert an. »Natürlich hat sie das. Entschuldige bitte.«
Saraf schwieg einige ruhige Atemzüge lang. Dann fragte er leise: »Bin ich denn dein Freund?«
Sie stand im Begriff, nun endgültig die Fassung zu verlieren. Ausweichend antwortete sie: »In erweitertem Sinne schon.«
Saraf sah Yeremi traurig in die Augen, bis sie verlegen den Blick senkte und flüsterte: »Sag Jerry zu mir.«
»Jerry.«
»Nein, ich meine, du darfst mich Jerry nennen. Das erlaube ich nur Menschen, die mir etwas bedeuten.«
Er lächelte. »Danke, Jerry.«
Sie betrat eilig ihre Zimmerflucht im Erdgeschoss und sank kraftlos mit dem Rücken gegen die Tür, die hierauf leise ins Schloss schnappte. Ohne sich umzuwenden, drehte Yeremi den Schlüssel herum.
Ihre Gefühle spielten verrückt. Sie wusste nicht, ob sie Saraf bewundern oder ihn fürchten sollte. In seiner Nähe fühlte sie sich wohl und zugleich bedroht. Sie wollte nicht von ihm verletzt werden, litt aber ebenso unter der Vorstellung, ihm ihrerseits Schaden zuzufügen.
Wenig später lag sie in ihrem Bett und war hellwach. Eine Zeit lang wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, bis sie sich entschloss, das Licht einzuschalten, und in ihr Arbeitszimmer schlurfte. Ein Bein untergeschlagen, das andere locker vom Stuhl hängend, machte sie es sich hinter ihrem Schreibtisch bequem. Behutsam, als handele es sich um einen sehr zerbrechlichen Gegenstand, nahm sie einen Bleistift aus der Schale über der ledernen Schreibunterlage, zog aus einer polierten Holzablage ein leeres Blatt Briefpapier hervor und stützte ihr Kinn auf die linke Hand. Ihre Augen wanderten zu dem Bilderrahmen neben dem Holzkasten – er zeigte die verblichene Fotografie eines lachenden kleinen Mädchens zwischen glücklichen Eltern vor einer Hütte in Jonestown – und von diesem Ruhepunkt weiter zum Fenster.
Das Haus lag auf einem Felsen oberhalb des Strandes. Am Tage bot sich ein prachtvoller Ausblick auf den Pazifik und die Küstenlinie der Spanish Bay. Jetzt allerdings herrschte da draußen die Schwärze der Nacht. Gerade recht zum Grübeln, dachte Yeremi und setzte ihren Stift auf das Papier.
In dieser Sekunde klingelte das Telefon.
Der Anruf kam nicht über den normalen Hausanschluss herein, sondern über ihre Privatnummer, die nur ein kleiner Kreis von Personen kannte. Yeremi starrte auf den Apparat, als könne er jeden Moment nach ihr schnappen. Tatsächlich glich die Tonfolge des schnurlosen Gerätes weniger den Klängen eines althergebrachten Telefons als viel eher der Melodie eines indischen Schlangenbeschwörers, eine lustige Option des Herstellers, den sie in diesem Moment für seinen Erfindungsreichtum verfluchte. Wer rief da an, über diesen Anschluss, um diese Zeit, ausgerechnet an diesem Tag?
Sie dachte angestrengt nach, fand aber keine zufrieden stellende Antwort. Carl hatte sie bereits vom Flughafen aus über Handy von ihrer Landung informiert. Ansonsten wusste niemand von dem Charterflug…
Das Telefon dudelte erneut. Mit jeder Wiederholung schrillte es lauter, eine oftmals sinnvolle, in diesem Augenblick jedoch nervtötende »Komfortfunktion«. Yeremi schüttelte ärgerlich den Kopf. Das konnte nur ein Zufall sein… Um diese Uhrzeit? Sie riss das Telefon aus der Ladeschale.
»Bellman?« Kaum hatte Yeremi sich gemeldet, schalt sie sich auch schon eine Närrin. Hätte sie nicht einfach »Hallo?« oder »Ja?« sagen können?
Niemand antwortete. Aber sie hörte ein provozierend lautes Atmen am anderen Ende der Leitung. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
»Perversling!«, schrie sie ins Telefon und unterbrach die Verbindung. Sie hoffte, der Anrufer, wer immer er war, brauchte jetzt ein neues Trommelfell.
Zornig funkelte sie den schwarzen Apparat an, als wäre er ein mephistophelischer Fetisch. Dies war so ein Moment, in dem sie die Segnungen der Technik verfluchte, weil der Mensch, wollte er in ihren Genuss kommen, ihnen notgedrungen ausgeliefert war.
Erneut leierte das Telefon seine Beschwörungsmelodie.
Mit ansteigender Atemfrequenz verfolgte Yeremi das Crescendo des Kunststoff-Fakirs. Ihr wurde schwindelig. Was tun? Wieder abnehmen? Erneut dieses Stöhnen anhören? Aufgebracht riss sie das Telefon samt Ladeschale zu sich heran und zog den Stecker heraus. Das Läuten erstarb.
Die Ruhe war trügerisch. Unwillkürlich wanderte Yeremis Blick zurück zum Fenster. Hinter dem Glas befand sich eine
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