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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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dahinter.
    Jerry schrie entsetzt auf, als sie das viele Blut auf Mr Ryans Hemd und Hose sah. Sie fing an zu weinen. »Madre mia!«, rief ihre Mutter und drückte sie schützend an sich.
    Kaum war der Truck quietschend und zischend stehen geblieben, da sprang Miss Tailor schon heraus und lief auf ihren Boss zu.
    »Leo, sind Sie verletzt? Was ist passiert?«
    »Ich bin okay. Jemand hat versucht, mir die Kehle aufzuschlitzen.«
    Im Nu waren die beiden von einer Menschentraube umgeben. Zu Jerrys Erleichterung tauchte darin unversehens das Gesicht ihres Vaters auf. Er arbeitete in der Planungskommission von Jonestown und war, wie er Rachel in knappen Worten berichtete, von dem Lärm beim Pavillon ins Freie gelockt worden. Einander haltend und umarmend, verfolgte die Familie das weitere Geschehen.
    Jackie Tailor hatte schnell ihre Fassung zurückerlangt. Sie nahm Ryans Oberarm, als wolle sie einem alten Mann über die Straße helfen, und sagte: »Kommen Sie, Leo. Hier sind Sie nicht sicher. Sie müssen mit uns fliegen.«
    »Das habe ich ihm auch schon gesagt«, bemerkte Compte.
    »Sie müssen jetzt leider doch bis morgen hier ausharren«, sagte Tailor zu den beiden Anwälten. »Jetzt, wo der Congressman uns begleitet, können wir Sie nicht mehr mitnehmen.«
    »Das ist uns klar«, antwortete Garry einsichtig. »Lassen Sie Mr Compte bitte nur sein Zeug vom Truck holen.«
    Während der Anwalt sein Gepäck in Empfang nahm, brachte jemand aus der Siedlung ein frisches Hemd und eine saubere Hose für den Congressman. Dwyer versprach den Anwälten, wenn möglich noch in der Nacht mit einem Flugzeug zurückzukehren, damit man mit den übrigen Aussteigern am Sonntagmorgen in aller Frühe nach Georgetown fliegen könne.
    Jerry zog heftig an der Hand ihrer Mutter, bis sich diese zu ihr herunterbeugte.
    »Was ist, mein Schatz?«
    Das Mädchen deutete mit einem zitternden Händchen auf den Lastwagen und flüsterte in Spanisch: »Wir müssen da mitfahren.«
    Auf dem Gesicht seiner Mutter erschien jenes Lächeln, das man unverständigen Kindern zu zeigen pflegt. »Heute nicht, mein Schatz. Wir verreisen ein andermal.«
    Darauf fing Jerry zu weinen an und schüttelte trotzig den Kopf. »Nein, heute! Andermal ist es zu spät.«
     
     
    Er war alles andere als abgebrüht. Als Politiker hatte Leo Ryan jedoch gelernt, seine Gefühle hinter Masken zu verbergen, meist solchen, die lächelten. Der Mordanschlag dieses Donald E. Sly steckte ihm noch in den Knochen, aber Ryan wusste, was man von ihm, dem Kopf dieses Unternehmens, erwartete. Panik gehörte nicht dazu.
    Als er den Kipper besteigen wollte, nahten neue Schwierigkeiten. Äußerlich wirkte das Problem eher harmlos: etwa einen Meter fünfundsechzig groß, um die sechzig Kilo schwer – ein Federgewicht, das man im Truck als Larry Lanton kannte. Der zierliche Mann hatte gelocktes, schmutzig blondes Haar, tief liegende, stechende blaue Augen und trug eine khakifarbene Hose, ein weißes Sweatshirt sowie einen Armeeponcho. Sein Alter ließ sich schwer bestimmen; Ryan siedelte es irgendwo zwischen dreiundzwanzig und achtundzwanzig an. Weil der Nachzügler keinerlei Gepäck bei sich trug, brachte sein atemlos hervorgestoßenes Anliegen nicht wenige zum Staunen.
    »Bitte lassen Sie mich mitfahren!« Lanton winkte mit hoch erhobenem Arm, als er auf die Gruppe zueilte. Auf den letzten Metern rutschte er im Matsch aus, konnte sich aber gerade noch fangen.
    Im Truck regte sich Widerspruch. »Dem dürfen Sie nicht trauen«, zischte Dale Sturges, und sein Vater, Jerry, begann hektisch auf Ryan einzureden: »Der Mann ist ein Spitzel, ein Agent. Er gehört hier zum inneren Zirkel. Ich habe vorhin gesehen, wie er den Reverend fragte, ob er etwas für ihn tun könne. Sie hätten das sehen sollen, Mr Ryan: Jones hat Lantons gefaltete Hände genommen, als wolle er mit ihm beten, und dann haben sie getuschelt. Ich sage Ihnen, da stimmt was nicht. Schicken Sie ihn wieder…«
    »Der Reverend hat auch andere umarmt und sich herzlich von ihnen verabschiedet«, schnitt Ryan dem aufgeregten Mann das Wort ab. Er wollte zunächst Lantons Erklärung für dessen überstürzten Entschluss hören.
    Der angebliche Spitzel blieb keuchend vor dem Politiker stehen. »Mr Ryan, Sie müssen mich unbedingt mitnehmen!«
    Der Congressman suchte angestrengt in Lantons stechenden Augen nach verräterischen Signalen. Der kleine Mann war sehr nervös, aber dafür konnte es viele Gründe geben. »Warum fällt Ihnen das erst jetzt

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