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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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entfernt.
    »Ich hoffe, der Botschaft ist beim Buchen unserer Transportmittel kein Fehler unterlaufen«, wandte sich Ryan an Richard Dwyer.
    Der stellvertretende Missionschef schüttelte den Kopf. »Ich habe alles persönlich geprüft. Wir müssen uns einfach gedulden, Mr Ryan. Das hier ist Südamerika. Da gehen die Uhren anders als in Kalifornien.«
    Der Lastwagen hielt neben der Piste, und die Vorhut der Medienvertreter näherte sich den Ankömmlingen. Bob Brown von der NBC filmte. Das Gepäck wurde abgeladen und in einen Aluminiumschuppen gebracht, um es vor dem nächsten Regenguss zu schützen. Einige vertraten sich die Füße auf dem Flugfeld. Die Reporter scharten sich bei der Baracke um Ryan, der von dem Zwischenfall im Pavillon berichtete. Lanton lehnte in seinem Poncho außen an der Schuppenwand. Nachdem der Lastwagen entladen worden war, stiegen Wilson und Gieg ins Fahrerhaus und verschwanden grußlos in Richtung der Militärmaschine.
    »Wir sind zweiunddreißig Personen«, sagte Ryan. Er hatte sich von seiner Assistentin zuvor noch einmal die letzten Zahlen bestätigen lassen. »Wie es aussieht, haben wir aber nur etwa fünfundzwanzig Plätze zur Verfügung. Ich weiß, dass die Mehrzahl von Ihnen in einem Etablissement namens Mike & Son’s nächtigen musste, das alles andere als komfortabel zu sein scheint. Tja, wie es aussieht, werden ungefähr sieben von Ihnen eine weitere Nacht in dieser gemütlichen Discobar zubringen dürfen. Meldet sich irgendjemand freiwillig?«
    Die Antwort bestand in Gemurmel.
    »Mir wurde gesagt, der Rum fließe dort in Strömen«, fügte Ryan grinsend hinzu.
    Zwei oder drei der Reporter lachten, aber niemand schien ernsthaft ans Bleiben zu denken.
    »Jackie«, sagte Ryan zu seiner Assistentin. »Sie haben die Liste. Ich überlasse es Ihnen…«
    »Da kommt ein Flugzeug!«, rief jemand.
    Annähernd zweiunddreißig Augenpaare erhoben sich zum grauen Himmel, aus dem eine kleine einmotorige Maschine auf die Landebahn zuschwebte.
    »Da sollen fünfundzwanzig Menschen reingehen?«, fragte eine junge Frau, die zu den DePriests gehörte.
    »Mit dem Piloten sechs, höchstens acht«, erwiderte Dwyer. »Wir haben gestern Nacht zusätzliche Transportkapazität angefordert, weil sich unsere Platzprobleme schon absehen ließen, aber man konnte uns noch nicht sagen, was für Flugzeuge zur Verfügung stehen.«
    »Dann folgt bestimmt gleich noch eine größere Maschine«, sagte Ryan zu seiner Mitarbeiterin. »Jackie, suchen Sie bitte schon einmal diejenigen heraus, die als Erste fliegen.«
    »Ist okay, Leo.« Die junge Frau seufzte leise. Allmählich konnte sie die Namen der Aussteiger im Schlaf hersagen.
    Sie brütete noch über die gerechteste Reihenfolge auf ihrer Liste, als – etwa fünf Minuten nach der Landung des kleinen Flugzeuges – ein sonores Dröhnen ertönte. Diesmal war es die sehnlichst erwartete große Chartermaschine, eine zweimotorige Otter der guyanischen Regierung, die mit ihrer rundlichen Form an die Transportflugzeuge des Zweiten Weltkrieges erinnerte. Wenig später landete der silberne Vogel sicher auf der feuchten Piste. Er rollte in der Nähe des Aluminiumschuppens aus und blieb mit laufenden Rotoren stehen.
    »Leo, könnten Sie für uns vor dem Abflug auf der Landebahn noch eine Pressekonferenz geben?«, bat Don Harris.
    »Der alte Kongresskämpe vor einer klapprigen Otter: Das gibt ein paar nette Bilder mit Symbolcharakter – geben Sie ‘s zu, Don, es geht Ihnen ja nur darum«, frotzelte Ryan. Mit der Ankunft des zweiten Flugzeugs war ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Er gab einige knappe Anweisungen – Jackie sollte festlegen, wer mit welcher Maschine fliegt, und Dwyer sich einige Helfer suchen, um jeden vor dem Einsteigen nach Waffen zu durchsuchen –, dann widmete er sich den Medien.
    Allmählich erlangte Ryan Routine darin, die Messerattacke zu schildern. Man durfte nicht zu dick auftragen, musste den Rettern gebührend danken, vor einem Generalverdacht gegen alle Gläubigen des Volkstempels warnen und jeden Zweifel an der Entschlossenheit zur rückhaltlosen Aufklärung ausräumen. Während er den Reportern Rede und Antwort stand, versuchte er, sich den Blick durch Bob Browns Videokamera vorzustellen: er in blutbefleckter Hose (das Hemd hatte er inzwischen gewechselt) und das nasse Rollfeld im Vordergrund, weiter hinten die im Leerlauf rotierenden Propeller der Otter und schließlich das wogende Grün des Dschungels – keine schlechte Szenerie für einen

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