Der silberne Sinn
ihn auf Mitte zwanzig – spiegelte sich Hass.
Wilson deutete mit dem Kinn ins Fahrzeug und sagte barsch: »Meine Frau und mein Kind sind verschwunden. Ihr habt sie nicht zufällig da irgendwo versteckt?«
Dale merkte, wie Edith DePriest sich zu ihrer vollen Größe aufrichtete. »Die sind nicht hier. Und jetzt räum endlich die Kette aus dem Weg, Joe«, keifte sie.
»Ich würde mich doch lieber selbst überzeugen«, knurrte Wilson. »Kommt alle mal nach vorn, damit ich mir eure Gesichter ansehen kann.«
»Tun wir, was er verlangt«, sagte Ryan beschwichtigend. »Umso schneller können wir weiterfahren.«
Die Menschen auf dem Lastwagen traten murrend ans Ende der Ladefläche, womit sie gleichzeitig Lanton auf den Pelz rückten. Wilson und Edwards musterten jeden, als wollten sie später aus dem Gedächtnis eine Liste anfertigen. Dann nickte Wilson seinem Kollegen zu, damit er die Straße freigebe. Auf der Ladefläche hörte man erleichtertes Aufatmen. Im nächsten Moment sprang der Sicherheitschef seitlich auf den Truck und hielt sich am Kasten fest. »Alles okay, Stanley. Kannst weiterfahren«, rief er nach vorne.
Der blonde Fahrer ließ den Motor aufbrüllen, eine dunkle Rußwolke schoss aus dem senkrecht stehenden Auspuff, und der Lastwagen setzte sich langsam wieder in Bewegung.
Dale konnte nicht sehen, wo Wilsons Füße Halt gefunden hatten. Doch ob er nun auf dem Tank stand oder sonst wo auf dem Fahrgestell, er schien sich wenig Sorgen um seine Sicherheit zu machen. Vielmehr widmete er sich ganz dem Verschießen finsterer Blicke auf jene Menschen, die er am Morgen noch als Mitgläubige betrachtet hatte und die, wie er zu glauben schien, Reverend Jones nun in den Rücken fielen. »Warum verratet ihr uns?«, fragte er diesen und jenen während der Fahrt, bekam aber nur selten eine Antwort.
Lanton, noch immer von den anderen gemieden, schloss sich dem Schweigen an. Nur Jim Cobb, einer der Besorgten Angehörigen, raunte dem Congressman leise zu: »Ich traue Lanton nicht. Vielleicht hat Jones ihn geschickt, um Schwierigkeiten zu machen. Er könnte bewaffnet sein.«
Dale bemerkte, wie der Congressman nachdenklich – gar zweifelnd? – zu Lanton hinübersah. Hinter dem verachteten Mann tauchte am Rande der Straße für einen Moment ein roter Traktor mit einem tief liegenden, holzbeladenen Anhänger auf. Dann folgte der Lastwagen einer engen Biegung, und das andere Fahrzeug verschwand wieder aus dem Blickfeld. Ein besonders heftiges Schaukeln ließ die Passagiere aufstöhnen. Einige stießen leise Flüche aus.
»Wenn er noch langsamer fährt, wird der Truck Wurzeln schlagen«, beschwerte sich Jerry Sturges.
Dale nickte. »Erst das Schlammloch und jetzt diese Schleichfahrt. Wenn du mich fragst, Dad, steckt Absicht dahinter. Sie schinden Zeit, weil sie irgendetwas aushecken.«
Tatsächlich lenkte Stanley Gieg den schweren Wagen fast schon provozierend langsam über die schmale und, zugegeben, tückische Dschungelstraße. Normalerweise benötigte man für die rund acht Meilen nach Port Kaituma fünfundzwanzig Minuten. Gieg schaffte die Strecke schließlich in einer Stunde.
BLUTIGE ERNTE
Port Kaituma (Guyana)
18. November 1978
15.15 Uhr
Als sie endlich den Flugplatz von Port Kaituma erreichten, blickte Ryan unwirsch auf seine Armbanduhr. Die bestellte Chartermaschine sollte schon vor fünfundvierzig Minuten gelandet sein, aber es war von ihr weit und breit nichts zu sehen. Sie konnte unmöglich schon wieder abgeflogen sein, die Journalisten im ersten Fahrzeug hätten die Piloten bestimmt über die Verspätung der Hauptgruppe informiert. Was also war jetzt schon wieder schief gelaufen?
Der Congressman ließ seinen Blick über den Dschungelflugplatz schweifen. Das Wort »Flughafen« schmeichelte der armseligen Anlage. Es gab hier weder eine asphaltierte Start- und Landebahn noch eine vernünftige Abfertigungshalle. Als Piste diente ein von hohem Gras gesäumter Sandstreifen, der bei Regen schnell aufweichte und unbenutzbar wurde. Die Wellblechhütten zum Schutz von Passagieren und Gepäck verwandelten sich bei Sonnenschein in Backöfen. Ringsum wucherte der Regenwald. Am Ende der Rollbahn stand, wie gestern schon, eine guyanische Militärmaschine mit beschädigtem Bugrad. Sie wurde von drei oder vier Soldaten bewacht. Mit der Reparatur schien man sich Zeit zu lassen – wie mit fast allem hier. Vom internationalen Standard war man an diesem gottverlassenen Flecken Erde noch Jahrzehnte
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