Der silberne Sinn
Street?«
»Ja. Drei Beamte waren dort postiert, Verstärkung von der Stadtpolizei. Man fand sie zusammengerollt wie schlummernde Kinder im Gras. Irre, was!«
»Kann man wohl sagen.« Yeremi hob die Schultern und spreizte die Arme ab. »Na ja, dann werd ich mal wieder.«
»Ich habe bald Dienstschluss. Hätten Sie Lust zu ‘ner Pizza?«
Yeremi war schon wieder auf dem Weg. Sie drehte sich noch einmal um, lachte im Rückwärtsgehen und erwiderte: »Tut mir Leid, Officer, aber ich habe heute noch eine Menge vor.«
Weitere Polizisten beobachteten den Komplex des U. C. Berkeley Art Museum von anderen Positionen aus. Saraf musste an den schlafenden Beamten vorbei zur Bowditch Street gelaufen sein und von dort…
Yeremi hatte keine Ahnung.
Ihr Minitransporter stand einen Block weiter südlich. Sie hatte gehofft, Saraf in dem Wagen anzutreffen – er besaß einen kompletten Satz Schlüssel –, wurde aber enttäuscht. Sie warf nur einen kurzen Blick in den kleinen Daihatsu Extol, verriegelte ihn sogleich wieder und machte sich erneut auf die Suche. Wo nur hatte sich Saraf versteckt?
Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis Yeremi am Rand der Verzweiflung stand. Immer wieder wischte sie sich Tränen aus dem Gesicht. Der Gedanke, Saraf könne orientierungslos wie ein kleines Kind durch Berkeley irren, erschien ihr unerträglich. Er kannte sich in dieser Welt doch nicht aus. Nein, ihre Sorge hatte nun wirklich nichts mit zärtlichen Gefühlen zu tun, sondern nur mit Verantwortungsbewusstsein. Ihr verdankte er doch diesen ganzen Schlamassel! Er musste verzweifelt sein. Die heiligen Schriften seines Volkes waren zerstört, für immer verloren. Was fleißige Hände in ungezählten Jahren aus farbigen Schnüren geknüpft hatten, war zu Asche zerfallen.
Endlich kehrte Yeremi zu ihrem Wagen zurück. Nein, sie würde nicht aufgeben. Möglicherweise, nur diese Hoffnung blieb ihr noch, lief Saraf den Weg zurück, den sie gekommen waren. Auf dieser Strecke wollte sie ihn suchen.
Sie fuhr im Schritttempo die College Avenue nach Süden, bog dann in östlicher Richtung auf den Dwight Way ein. Dabei blickte sie in Nebenstraßen und Hauseingänge. Nirgends war eine hoch gewachsene Gestalt zu entdecken, die Saraf auch nur entfernt ähnelte. Kurz hinter dem Dwight Way House betätigte sie den linken Blinker und nahm die Telegraph Avenue. Sie verließ nun endgültig den Campus, und von Saraf fehlte noch immer jede Spur.
»Jetzt lass dich endlich blicken!«, jammerte sie und hämmerte dabei mit den Fäusten aufs Lenkrad. Aus ihrem Unterbewusstsein drängte sich eine fürchterliche Vorstellung in ihre Gedanken: Was ist, wenn du ihn niemals wiedersiehst?
Die letzten Dämme gegen die Tränenflut brachen. Das salzige Elend schoss ihr unkontrolliert aus den Augen. Zum Glück war die Straße nur wenig befahren. Yeremi konnte kaum etwas sehen. Auch die dunkle Gestalt nicht, die plötzlich vor ihr Auto sprang.
Im letzten Moment trat Yeremi auf die Bremse. Reifen quietschten. Der Daihatsu drohte hinten auszubrechen und blieb nur eine Handbreit vor dem Lebensmüden stehen. Yeremi war völlig benommen. Sie schaltete den Scheibenwischer an, aber die Gestalt hinter der verschwommenen Windschutzscheibe wurde dadurch nicht klarer. Es schien ein Mann zu sein. Er lief jetzt zur Beifahrertür und klopfte ans Fenster. So begannen viele Überfälle. Yeremi dachte nicht im Traum daran zu öffnen.
»Jerry, nun öffne bitte endlich die Tür!«
Yeremis Atem stockte. Eine heiße Welle durchwogte sie. Das nicht unangenehme Kribbeln entsprang irgendwo hinter ihren Ohren, rann den Nacken herab, über ihren ganzen Rücken und brach sich dann in ihrem Leib. Schnell wischte sie sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen und konnte nun auch erkennen, was ihr Herz längst gesehen hatte.
»Saraf!«
Anstatt ihn hereinzulassen, riss sie die Wagentür auf, rannte um den Kühler herum und prallte sodann gegen den Silbermann. »Du lebst!« Sie bemerkte nicht, wie schwer es ihm fiel, seine Arme auf ihren Rücken zu legen, sie an sich zu drücken – so sehr wurde sie in diesem Moment vom Gefühl der Erleichterung beherrscht.
»Hast du daran gezweifelt?«, fragte er verwundert. Ein gelber Achtzylinder donnerte mit überhöhter Geschwindigkeit an ihnen vorbei.
»Du hättest tot sein können!«
Er lächelte, und sein Daumen fuhr sanft über die verblasste Narbe an Yeremis Hals. »Du hast mir nie erzählt, wie du dazu gekommen bist.«
Unvermittelt änderte
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