Der silberne Sinn
sich ihr Gemütszustand. Sie stieß sich von Saraf ab und begann ihn zu beschimpfen. »Du bist ein Hornochse. Oder ein dummes Kalb, wenn dir das lieber ist. Die Knotenschnüre sind verbrannt, die Polizei ist auf der Suche nach dir, und du fragst mich nach alten Narben! Ich hätte mir lieber eine Tüte Popcorn kaufen und ins Kino gehen sollen.«
Er runzelte die Stirn. »Kino? War das nicht dieser riesengroße Fernseher, der in einem Tempel…?« *
»Das ist jetzt nicht lustig, Saraf!«
»So war es auch nicht gemeint, Jerry.«
»Dann steig endlich ein.«
»Die Tür ist verschlossen.«
»Oh!« Sie blitzte ihn noch einmal an, das musste als Strafe für seinen Leichtsinn genügen. Dann umrundete sie wieder den Wagen, kletterte hinter das Lenkrad und öffnete von innen die Beifahrertür.
Als er endlich neben ihr saß und der Kleintransporter sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, sagte sie leise: »Tu so etwas bitte nie wieder, Saraf!«
Der Silbermann sah sie traurig an. »Vielleicht werde ich es aber müssen, Jerry. Schon bald.«
GEFÜHLSTOTER GESUCHT
San Francisco (Kalifornien, USA)
31. Dezember 2005
0.41 Uhr
An dem langen Mahagonitisch saßen nur drei Personen, obwohl auch zwei Dutzend bequem daran Platz gefunden hätten. Das monströse Möbel stand im sechsundvierzigsten Stock des Siheno Building, im Herzen von San Franciscos Finanzdistrikt. Über den drei Männern gab es nur einen seit Jahren nicht mehr benutzten Hubschrauberlandeplatz. Und den Himmel.
Jefferson H. Flatstone saß bewegungslos am oberen Ende des Tisches. Er war ein Mann von strenger Disziplin. In jeder Beziehung. Das begann beim eigenen Körper, der trotz seiner zweiundfünfzig Jahre nach wie vor kein Gramm Fett zu viel auf die Waage brachte, und es endete noch lange nicht bei dem schwitzenden Mitarbeiter, der links von ihm saß, gerade diese haarsträubende Geschichte erzählt hatte und vermutlich lieber ein paar glühende Eisenstäbe auf dem Gesicht erduldet hätte, als den Blick seines Chefs noch eine Sekunde länger zu ertragen. Endlich brach der Herr von Stheno Industries das Schweigen.
»Und es war nur ein Ball?«
Al Leary konnte sich endlich von den hypnotischen Augen Flatstones lösen. Verstört sah er zu dem Mann auf der anderen Seite des Tisches, der das Verhör mit einem amüsierten Ausdruck verfolgte. »Nun«, druckste Leary, »ich denke, es war weit mehr als das.«
»Das glaube ich allerdings auch.« Flatstone nickte gewichtig. Seine schwarze Haut war, abgesehen von einer Narbe über dem linken Auge, makellos glatt. Das Licht einer einzelnen Deckenlampe schimmerte auf seiner Stirn. Vor Jahren hatte er es sich zur
Gewohnheit gemacht, grelle Scheinwerfer ebenso zu meiden wie die Sonne. Beides erzeugte Hitze, man schwitzte, und der Schweiß lief in die Augen. Das Halbdunkel passte ohnehin besser zu seinen Geschäften.
»Ich glaube, wir wissen alle, was das bedeutet«, sagte der Mann, der Leary gegenübersaß. Sein Ton war ernst, aber nicht übermäßig besorgt.
Flatstone nickte. »Saraf Argyr kommt uns näher.«
»Ja, und Yeremi Bellman hilft ihm dabei«, mischte sich Leary ein. »Sie ist schlau! Jetzt, wo sie die Verbindung zwischen dem Massensterben auf dem Dach des Waldes und unserem Unternehmen hergestellt hat, ist es nur noch eine Frage der Zeit…«
»Stheno Industries ist immer noch mein Unternehmen«, unterbrach Flatstone den Psychologen. Seine Stimme klang schneidend.
»Es gibt nicht viele Labors in Kalifornien, die in der Lage sind, aus einigen vertrockneten Blutstropfen auf uns zu schließen«, gab der Dritte am Tisch ruhig zu bedenken.
»Zieht man das Insiderwissen über die geheimen Biowaffenprogramme des USAMRIID in Betracht, bleibt im näheren Umkreis wohl nur eines übrig«, sagte Flatstone auf eine bedrohlich klingende Weise.
»Dann wissen Sie ja, was zu tun ist, Jeff.«
Flatstone schürzte die Lippen und lächelte. »Ja, ich denke, das weiß ich. Wir werden uns um die Sache kümmern.«
»Das beruhigt mich.«
»Bleibt immer noch Saraf Argyr«, merkte Leary an.
Flatstones eng beieinander stehende Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Sie sollten ihn allmählich unter Kontrolle bringen, Al. Umso mehr, da die Quipus jetzt zerstört sind. Saraf Argyr ist vielleicht der Einzige, der uns das Wissen der Weißen Götter erschließen kann. Wenn die Polizisten ihn heute Abend aufgrund Ihrer Nachlässigkeit erschossen hätten, dann…« Flatstone musste das Strafmaß nicht erst
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