Der silberne Sinn
aussprechen, um den Adrenalinpegel in Learys Blut anzuheben.
»Das Problem mit diesem Silbermann ist sein Fühlsinn…«
»Sie meinen die empathische Telepathie.«
»Ja. Wenn er wachsam ist – und das scheint er in den letzten Tagen stets zu sein –, dann kann man sich ihm nicht nähern, ohne von ihm bemerkt zu werden. Jeder Mensch fühlt irgendetwas, wenn er sich auf die Jagd nach einem anderen begibt. Sobald Saraf die von einem Angreifer ausgehende Gefahr spürt, greift er auf seine Gefühlsspielerei zurück: Er pflanzt ihm Müdigkeit ein oder Interesselosigkeit oder…«
»Die Gier nach einem kleinen roten Gummiball.«
Leary schlug die Augen nieder.
Flatstone blieb unerbittlich. »Sie haben den Karren in den Dreck gefahren, Al, jetzt sehen Sie zu, wie Sie ihn da wieder rausbekommen.«
Leary war es gewohnt, den eigenen Körper einzusetzen, um Menschen zu manipulieren, und er konnte die Signale anderer normalerweise erkennen und bewusst gegensteuern. Aber Flatstones Physis bediente sich einer Sprache, der selbst er sich beugen musste. Wie ein gescholtener Junge starrte Leary vor sich auf die Tischplatte. Plötzlich vibrierte sein Handy in der Brusttasche. Erschrocken sah er auf.
Flatstone runzelte die Stirn.
»Ein Anruf«, sagte Leary. »Entschuldigen Sie, aber die Nummer kennen, abgesehen von Ihnen natürlich, nur ganz wenige.«
Flatstone fuchtelte ungeduldig mit der Hand – ein wortloses »Nun nehmen Sie schon ab!«.
»Ja?«, sagte Leary, nachdem er die grüne Taste auf seinem Handy gedrückt hatte.
»Ich bin’s.«
»Jerry?!« Leary war mehr als erstaunt. Mit den Lippen formte er für die anderen beiden am Tisch die Worte »Yeremi Bellman«.
»Du musst dich mit mir treffen, heute noch.«
»Du willst dich mit mir treffen?«, wiederholte Leary in ungläubigem Ton. Er wollte Flatstone und Sam wissen lassen, worum es in dem Gespräch ging. »Ist das etwa eine neue zarte Annäherung?«
»Nach dem, was du dir vor ein paar Stunden geleistet hast? Dein Selbstvertrauen ist wirklich unerschütterlich, Al Leary. Nein, ich muss ein paar Dinge mit dir besprechen. Mir gefällt es nicht sonderlich, als Diebin und Brandstifterin verdächtigt zu werden.«
»Dann geht es also um eine persönliche Aussprache?«
»Wenn du es so nennen willst. Ich würde es eher als Hilfsangebot betrachten. Immerhin arbeitest du für eine Firma, deren Verantwortliche des vielfachen Mordes angeklagt werden könnten. Warst du nicht stellvertretender Expeditionsleiter…?«
»Keine Drohungen, Jerry! Also gut, ich treffe mich mit dir…«
Flatstone verschaffte sich mit einer abwiegelnden Geste Aufmerksamkeit. Als Leary ihn fragend anblickte, warf sein Boss drei Worte auf den vor ihm liegenden Notizblock und drehte das Blatt um.
Nicht vor morgen!
Leary nickte Flatstone zu und sagte ins Telefon: »Heute passt es mir überhaupt nicht. Können wir uns morgen sehen?«
»Damit du in Ruhe Neujahr feiern kannst? Meinetwegen. Kennst du das Caffe Trieste!«
»Du meinst das Cafe an der Ecke Vallejo und Grant Street?«
»Sei um zwei Uhr mittags dort. Pünktlich!« Es klickte, und das Gespräch war beendet.
Leary fasste für die beiden Männer am Tisch noch einmal das Telefongespräch zusammen.
Flatstone sank in seinen Sessel zurück und lächelte zufrieden. »Wenn sie schon hieb- und stichhaltige Beweise gegen uns hätte, würde sie nicht anrufen.«
»Sie hat genug, um das FBI auf uns zu hetzen.«
»Dann müssen wir dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt. Wir haben siebenunddreißig Stunden Zeit. Wo waren wir stehen geblieben?«
»Bei Saraf Argyr. Vielmehr bei der Suche nach einer Möglichkeit, seiner habhaft zu werden. Wie ich schon sagte: Kein Mensch, ob in guter oder böser Absicht, kann sich dem Silbermann nähern, ohne von ihm bemerkt zu werden…« Learys Stimme versickerte in tiefer Nachdenklichkeit. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf.
»Es sei denn, er hat überhaupt keine Gefühle!«
Flatstone wirkte skeptisch. »Selbst gefühlskalte Menschen besitzen immer noch eine Spur von Emotionen.«
Al schüttelte den Kopf und sagte nur ein Wort: »Agnosie.«
Flatstone begann langsam zu nicken. Seine Stellung an der Spitze von Stheno Industries hatte er sich nicht nur durch Rücksichtslosigkeit erkämpft, sondern vor allem durch ein profundes Wissen über die menschliche Seele. Kontinuierlich informierte er sich über den Stand der Forschung. Agnosie konnte tatsächlich den Weg zur Lösung weisen. In einem Aufsatz hatte er
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