Der silberne Sinn
aussehe?«
»Zornig wäre vielleicht das bessere Wort.«
»Und trotzdem haben Sie meine Verzweiflung erkannt?« Yeremi wäre am liebsten aus dem Büro gerannt. Sie wollte endlich wissen, was mit Saraf geschehen war, ob es ihm gut ging… »Was sollen diese merkwürdigen Fragen?«, fauchte sie den Professor an. Der indifferente Ausdruck in McFarells Gesicht wich einer kühlen Beherrschung, wie man sie eher von einem verantwortungsvollen Amtsträger erwartete. Er fixierte Yeremi aus seinen grünen Augen und sagte: »Wir haben alle Hoffnung auf die Quipus vom Dach des Waldes gesetzt. Aber die heiligen Schriften des Silbernen Volkes sind soeben verbrannt.«
Saraf Argyr wusste, was eine Falle war. Eingeschlossen, das Ziel tödlicher Waffen zu sein war ein ihm durchaus vertrautes Gefühl. Es gab noch eine Chance, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Nur für die Azofa war die Zeit abgelaufen. Die heiligen Schriften standen in Flammen. Al Leary selbst hatte sie mit seinem letzten Schuss entzündet, als der Querschläger und die Funken den Müllsack trafen. Die trockenen Knotenschnüre mussten sofort zu schwelen begonnen haben.
Sarafs Kehle war wie zugeschnürt. Er hätte das Feuer in der Eingangshalle löschen, den Großteil der Azofa noch retten können. Aber wenn die Polizisten seiner Beute habhaft geworden wären, dann hätten Yeremi und er die heiligen Schriften für immer verloren. Die Sicherheitsvorkehrungen wären drastisch verschärft worden. Al Leary war kein Mann, der sich ein zweites Mal überrumpeln ließ.
Vielleicht richtete man sich draußen auf eine wilde Schießerei ein. Oder man glaubte, der Mann auf dem Überwachungsmonitor habe weitere Komplizen. Jedenfalls stürmten die Polizisten nicht blindlings in das Foyer, sondern suchten zunächst vor dem Gebäude Deckung. Diese Zeit nutzte Saraf, um das geknüpfte Gedächtnis seines Volkes feierlich zu verbrennen. Er schüttete den Inhalt des zweiten Sacks in die Flammen des ersten. Gönnte sich noch einen Moment der Besinnung und verschwand dann im Innern des längst umstellten Gebäudes.
»Ist der Dieb jemand, den wir kennen?« McFarells Frage war an Al Leary gerichtet. Die beiden Männer und Yeremi saßen auf den schweren Ledermöbeln im Büro des Dekans und machten ernste Gesichter.
»Möglicherweise.« Der Psychologe beobachtete nun schon seit Minuten Yeremis minimalistisches Mienenspiel. Er blickte McFarell nicht einmal an, wenn er mit ihm sprach.
»Was soll das heißen, Al?«, knurrte McFarell. »Haben Sie den Mann erkannt oder nicht?«
»Ich bin mir nicht sicher. Mein Kopf war… Es ist schwer, das zu beschreiben.«
»Wie konnte so etwas überhaupt passieren? Sie haben zwei bewaffnete Sicherheitsleute bei sich gehabt. Hat der Fremde Sie bedroht, niedergeschlagen oder narkotisiert?«
»Er hat uns einen roten Ball vor die Füße gerollt.«
Yeremi hatte den Dekan selten sprachlos erlebt. Dies war einer jener seltenen Augenblicke. Wütend starrte er den Psychologen an und sagte einfach nichts. Sie selbst verbarg ihre Gefühle, so gut es ging. Achte auf deinen Körper! So lautete eine der zahlreichen Lektionen, die sie in den letzten Tagen von Saraf gelernt hatte.
Als das Schweigen kaum noch zu ertragen war, ergriff Leary erneut das Wort. Er klang wie jemand, der sich verantwortlich fühlte und doch alle Schuld von sich zu weisen suchte. »Es muss ein empathischer Trick gewesen sein. Je weiter sich der Gummiball von uns entfernte, umso mehr begehrten wir ihn. Er kam uns zart und zerbrechlich vor. Und unendlich kostbar. Erst wollten wir ihn nur ansehen und beschützen, aber dann brach ein Streit aus. Jeder kämpfte um den Ball…«
»Und kümmerte sich einen Dreck um die Quipus.«
»So ungefähr. Als ich den Dieb entdeckte, war es schon zu spät.«
»Das wird ein Nachspiel haben.«
Leary ließ den Kopf hängen.
»Vielleicht liefern uns die Bilder der Überwachungskameras weitere Hinweise.« Der Kopf des Professors machte eine Vierteldrehung, dann sah er Yeremi offen ins Gesicht. »Wissen Sie, was ich glaube, Jerry?«
Sie wusste es und zuckte die Achseln.
McFarell kratzte sich an der Nase, stand auf und begann im Raum auf- und abzugehen. »Was uns Al da eben beschrieben hat, ist ein Phänomen, das eine Ursache haben muss: Drei Männer verlieben sich in einen kleinen Gummiball. Hätte jeder etwas anderes empfunden, würde ich vielleicht auf eine Droge tippen, ein Gas, mit dem unser kluger Dieb sie benebelt hat. So aber… Ich kann nicht
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