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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Ryan. Der Politiker war kein Stubenhocker und fürchtete auch riskante Missionen nicht, um seine politischen Ziele zu verfolgen. Er hatte 1975 Südvietnam besucht und Henry Kissinger anschließend vor einer baldigen Invasion der Kommunisten gewarnt. »Wie Sie heute ganz richtig erklärten, Yeremi, wusste er jedoch nicht um die Gefahr, in die er sich und seine Begleiter durch den Besuch von Jonestown brachte. Abgesehen vom Führer des Volkstempels hasste ihn wohl niemand so sehr wie der CIA. Der Geheimdienst konnte keine verdeckten Schweinereien mehr durchführen, ohne vorher den Kongress zu informieren. Und dann war da die First Executive Order on Intelligence Activities von 1976.«
    »Sie meinen die Präsidentenverordnung von Gerald Ford.«
    »Richtig. Experimente an ahnungslosen Personen galten ab sofort als ethisch nicht vertretbar und die Gedankenkontrollprogramme von MK-Ultra als kriminelle Machenschaft. Aber zwei Jahre zuvor hatte man im Dschungel von Guyana den Aufbau von Jonestown begonnen.«
    »Wollen Sie damit sagen, Jim Jones’ angebliches Agrarprojekt war tatsächlich eine CIA-Einrichtung?«
    »Es gehörte zu Ryans vorrangigen Zielen, genau das zu klären. Er glaubte, Reverend Jones und möglicherweise einige seiner engsten Vertrauten arbeiteten im Auftrag des Geheimdienstes. In Jonestown sollten Methoden zur gezielten Manipulation von Massen erprobt werden, möglicherweise unter Verwendung bestimmter Drogen. Uns war bekannt, dass Jones sich elftausend Einheiten Thorazin verschafft hatte, ein gefährliches und streng kontrolliertes Beruhigungsmittel zur Behandlung von Psychosen. Es gab auch Gerüchte von anderen bewusstseinsverändernden Wirkstoffen, die ein gewisser Doktor Schacht in der so genannten Erweiterten Pflegestation verabreichte. Wussten Sie, dass trotz der vorbildlichen Ausstattung Jonestowns zur Versorgung von Alten und Patienten nach dem Massaker kein einziger Krankenbericht gefunden wurde? Sämtliche medizinischen Unterlagen des Projekts sind bis heute unauffindbar.«
    Yeremi starrte die Senatorin gebannt an und schüttelte nur den Kopf.
    »Als wir das Dschungelareal verließen, flüsterte mir Congressman Ryan zu: ›Jetzt haben wir sie! Sie versuchen in Jonestown die Gefühle der Gläubigen zu manipulieren. Eines der Mitglieder ist bereit auszusagen, und ich bin überzeugt, es werden weitere folgen.‹«
    »Gehörte diese Person zu den Aussteigern, die Sie begleiteten?«
    »Nein. Jedenfalls nicht zu der ersten Gruppe, die wir am 18. November ausfliegen wollten. Es handelte sich um eine Mitarbeiterin der Erweiterten Pflegestation, die zu Jones’ Führungszirkel gehörte. Ich hatte mir ihren Namen notiert. Er lautet Mildred Quingley. Offenbar ist sie in der Weißen Nacht ums Leben gekommen.«
    »Wurde ihre Leiche denn identifiziert?«
    »Nein, aber das trifft auf Hunderte von Toten zu.«
    »Würden Sie das, was Sie mir eben gesagt haben, vor einem Gericht wiederholen, Jackie?«
    Die Senatorin erwiderte standhaft Yeremis festen Blick. Spätestens jetzt musste der Politikerin klar werden, was es für sie bedeuten konnte, den CIA, möglicherweise sogar das Weiße Haus selbst öffentlich anzuprangern. Sie nickte entschieden. »Ja, Yeremi. Ich bin dazu bereit.«
    »Warum erst jetzt, erst heute?«
    Tailor nippte an ihrem Glas, was ihr erlaubte, Yeremis bohrendem Blick auszuweichen. »Ich war damals jung. Erst zwei Jahre zuvor hatte ich meinen Abschluss auf dem U. C. Hastings College of the Law gemacht. Ich war verunsichert, weil Ryan mir als seiner juristischen Beraterin einige Dinge anvertraut hatte, die mich völlig desillusionierten. Als gerade zugelassene Anwältin lebte ich bis dahin in der naiven Vorstellung, die Vereinigten Staaten seien ein Land, in dem rechtsstaatliche Prinzipien heilig sind. Das geheime, offenbar von der Regierung initiierte Gedankenkontrollprogramm in Jonestown bedeutete genau das Gegenteil. Ryans feste Absicht, etwas aufzudecken, was es seit spätestens zwei Jahren nicht mehr geben durfte, stimmte mich jedoch euphorisch. Hier lag nicht nur ein eklatanter Verstoß gegen den Hughes-Ryan Act, sondern auch gegen Gerald Fords ethischen Kodex für die US-Geheimdienste vor. Wenn wir eine Reihe von Mitgliedern des Volkstempels zum Aussteigen und zu einer Aussage über die Machenschaften in Jonestown bewegen konnten, würde das den illegalen Experimenten ein Ende machen. Aber unser Gegner war auf der Hut. In der Weißen Nacht verwischte er so gut wie alle verräterischen

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