Der silberne Sinn
Spuren. Und er wusste – wenn Ryan vor aller Welt auf möglichst bestialische Weise abgeschlachtet würde, konnte man die Überlebenden mit der Angst zum Schweigen bringen.« Tailor trank ihren Whiskey aus und schwieg.
Yeremi konnte sich nur zu gut in die Gefühle der Senatorin hineinversetzen. Dennoch klang ihre Antwort streng: »Sie haben nach dem Jonestown-Massaker eine beachtliche Karriere hingelegt. Zwei Jahre nach Port Kaituma wurden Sie zur jüngsten Oberstadtdirektorin von San Mateo gewählt: Als Dreißigjährige schlugen Sie Ihren Amtsvorgänger, der zwanzig Jahre lang auf diesem Stuhl geklebt hatte. Gab es da vielleicht einen Handel: Sie verpflichteten sich dazu, Jonestown aus Ihrem Sprachschatz zu streichen, und erhielten dafür massive Unterstützung im Wahlkampf?«
Tailor lächelte abgeklärt. »Erwarten Sie darauf allen Ernstes eine Antwort?«
Der Ausdruck in Yeremis Gesicht wurde wieder weicher. »Nein, nicht wirklich. Sie waren einem Mordanschlag knapp entkommen und dürften sich ausgerechnet haben, welchen Preis allzu viel Geschwätzigkeit für Sie haben konnte.«
»Ich bin froh, diesen Punkt geklärt zu haben. Und dabei sollten wir es belassen, Yeremi. Sie wissen jetzt, was ich über die geheimen CIA-Aktivitäten in Jonestown weiß. Sie kennen den Grund, warum Leo Ryan und so viele Mitglieder des Volkstempels sterben mussten. Wenn Sie den Fall jetzt aufrollen, sich die Medien und vor allem die Gerichte damit beschäftigen, dann können Sie auf meine Unterstützung rechnen. Die Verantwortlichen dürfen damit nicht durchkommen, denn das würde das Ende unserer Freiheit bedeuten.«
»Würden Sie den kahlen Anführer der Killertruppe wiedererkennen?«
»Heute? Nach fast drei Jahrzehnten.« Tailor dachte kurz darüber nach. »Ja. Ich denke schon.«
»Und wie steht es mit dem Phantom?«
»Sie meinen den Unbekannten, der Jim Jones erschossen haben soll? Da muss ich, ehrlich gesagt, passen. Ich kenne diesen Mann nicht.«
»Könnte es Jefferson H. Flatstone sein?«
»Der Boss von Stheno? Das kann ich nicht sagen. Ich bin Mitglied in einem Senatskomitee, das sich unter anderem mit Energiefragen beschäftigt. In diesem Zusammenhang hatte ich mich vor zwei oder drei Jahren um ein persönliches Gespräch mit Mr Flatstone bemüht: vergeblich. Er ist eine geheimnisvolle Figur, lässt sich nie in der Öffentlichkeit blicken. Das einzige Foto, das ich von ihm kenne, ist unscharf. Es zeigt einen Afroamerikaner in Hut und Mantel seitlich von hinten.«
»Anscheinend haben Sie die gleiche Fotografie gesehen wie ich.«
»Ist anzunehmen. Im Komitee wurde gescherzt, Flatstone habe einen Großteil seiner scheinbar unerschöpflichen Geldmittel zum Aufkauf der Bilder verwandt, die jemals von ihm angefertigt worden sind. Das mag übertrieben sein. Fakt ist: In dem, was er tut, ist er sehr effizient. Er bedient sich knallharter, aber – soweit wir das feststellen konnten – legaler Geschäftsmethoden. Das ist auch schon alles, was ich über ihn sagen kann.« Tailor stellte ihr Glas auf den Tisch und erhob sich.
Yeremi folgte ihrem Beispiel. »Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Senator…«
»Jackie! Schon vergessen?«, unterbrach diese sie. »Tut mir Leid, wenn ich Ihnen nicht mehr sagen konnte.«
»Oh, Sie haben mir sehr geholfen. Ich werde zu gegebener Zeit auf Ihr Angebot zurückkommen.«
»Tun Sie das. Viel Glück noch bei der Suche nach Ihrem Mr Silverman.«
Als Yeremi sich vor ihrer Zimmertür von der Senatorin verabschiedete, verließ das japanische Paar von nebenan gerade wieder seine Suite. Es lächelte der Frau im Morgenrock und ihrer perfekt gestylten Begleiterin freundlich zu, um sich sodann eilig in Richtung Fahrstuhl zu begeben. Der Leibwächter behielt die Asiaten wachsam im Auge, bis sie verschwunden waren.
Wieder im Zimmer, warf sich Yeremi lang auf ihr Bett, das Gesicht in der Überdecke vergraben, und blieb minutenlang so liegen. Mit dem Entschluss, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, hatte sie unverhofft eine Lawine losgetreten, von der noch nicht abzuschätzen war, was sie alles aufstören würde. Erst Frielander und jetzt sogar die Senatorin – immer mehr Beweise für eine Verstrickung des CIA in das Jonestown-Massaker wurden ihr, Yeremi, zugespielt. Die Belege für eine Verbindung zu der jüngsten Tragödie auf dem Dach des Waldes blieben dagegen spärlich. Und vor allem war da immer noch die drängende Frage: Was wollte Flatstone mit der empathischen Telepathie anfangen? Ging es
Weitere Kostenlose Bücher