Der silberne Sinn
Ärmel wurde hochgekrempelt, sie schrie, spürte eine kühle Nässe auf dem Unterarm und dann den Einstich…
Das Erste, was sie registrierte, waren dröhnende Triebwerke und pfeifende Windgeräusche. Ihre Wange klebte an einer Plexiglasscheibe. Aus ihrem Mundwinkel lief Speichel herab. Als sie die Augen öffnete, traf sie ein stechender Schmerz. Erschrocken wich sie zurück.
Während sie sich noch an die Helligkeit gewöhnte, erschien über der Lehne vor ihr das schwarze Gesicht des Haarlosen Eugene. »Einen herzlichen guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?«
»Sie machen wohl Witze«, krächzte Yeremi und schmatzte wie eine zahnlose alte Frau. Ihr Kopf dröhnte. Sie fasste sich an die Stirn. »War das wirklich nötig?«
»Leider ja. Ich wollte Sie nicht unbedingt wissen lassen, wo sich unser Maulwurfsbau befindet. Sonst müsste ich Sie töten.«
»Ah! Das ist was anderes.« Yeremi schloss die Augen und massierte ihre Schläfen. Sie glaubte Flatstone kein Wort. Er wollte sie nur in Sicherheit wiegen. Als sie die Lider erneut hob, war er immer noch da. »Hätten Sie ein Aspirin für mich? Und etwas zu trinken?«
»Natürlich. Wir sind bestens ausgestattet. Sie haben übrigens eine erheblich schonendere Substanz verabreicht bekommen als beim ersten Mal. Es müsste Ihnen bald wieder besser gehen.« Flatstone verschwand.
Endlich konnte sich Yeremi umsehen. Sie saß in der vorletzten von acht Sitzreihen eines kleinen Düsenjets. Zu ihrer Linken, nur von einem Gang getrennt, starrte Madalin sie aus gläsernen Augen an. Sie unterdrückte einen Schauer und wandte sich nach hinten. Dort fiel ihr ein Paar langer Beine auf.
Es gehörte Saraf Argyr. Er schlief in der letzten Sitzreihe auf einer Art Notbett: Sein Körper ragte über den Mittelgang hinweg, wo er von einem großen Polster abgestützt wurde. Er wirkte entspannt, was Yeremi aufatmen ließ.
Als sie wieder nach vorn blickte, kam Flatstone gerade mit einem Glas Wasser und den Kopfschmerztabletten zurück. Yeremi versuchte nicht daran zu denken, dass dieser Mann ihre Mutter ermordet hatte.
Sie schluckte das Medikament, trank das Glas aus und reichte es dem wartenden Stheno-Chef zurück. Dabei bemerkte sie, wie er den Kopf leicht nach links drehte, offenbar konnte er ohne das gesunde rechte Auge nicht sicher zugreifen. Obwohl alle ihre Sinne angespannt waren, gab sie sich nonchalant.
»Jobben Sie häufiger als Stewardess, Mr Flatstone?«
Er grinste. »Eher selten. Mir fehlt leider die Zeit dazu. Ich mache heute eine Ausnahme, weil nicht mehr als die bereits eingeweihten Personen vom Ziel und Zweck unserer Reise erfahren sollen.«
Yeremi nickte. »Sie, McFarell, Al Leary und das Glasauge da.« Sie deutete mit dem Daumen auf Madalin. »Wo ist eigentlich der Professor?«
»Sam passt auf den Maulwurfsbau auf.«
»Und Ihr Chefpsychologe?«
»Doktor Leary? Der sitzt im Cockpit. Er ist ein viel besserer Pilot als ich.«
Zum Verdauen dieser Nachricht brauchte Yeremi mehrere Sekunden. Anstatt ihren Erzfeind endlich los zu sein, hatte sie es nun mit zwei, nein, drei menschlichen Ungeheuern zu tun – Feraru Madalin fiel ohne Frage ebenfalls unter diese Kategorie. Aber diesmal wollte sie sich von ihren Gefühlen nicht lähmen lassen, sondern selbst die Initiative ergreifen, auch wenn sie sich nicht viele Chancen ausrechnete, diese Reise zu überleben.
»Was versprechen Sie sich von diesem Ausflug, Mr Flatstone?«, fragte sie mit fester Stimme. Gleich darauf hatte sie das Gefühl, Flatstones Marderaugen wollten ihr die Gedanken aus dem Kopf saugen. Dennoch hielt sie seinem Blick nicht nur stand, sondern fing ihn mit ihren dunklen Augen sogar ein, hielt ihn fest und schuf so eine Verbindung zu seiner Seele. Mit einem Mal hörte sie den blechernen Klang des Größenwahns, der ihn erfüllte. Flatstone sah sich längst als Sieger, als einen schwarzen Jaguar, der mit seinem Opfer spielte, bevor er ihm das Genick brach. Yeremi unterdrückte die eigene Furcht nicht, sie beherrschte sie und gewann daraus eine ihr bis dahin unbekannte Kraft.
»Verbesserungen«, antwortete Flatstone.
»Für Sie persönlich oder für Ihre Auftraggeber?«
»Was für meine Kunden gut ist, muss mir nicht schaden. Sie wollen mich aushorchen, Jerry.«
»Nein, Flatstone, Sie wollen endlich die Anerkennung bekommen, die Ihnen für Ihre jahrzehntelange Arbeit zusteht. So ist es doch, nicht wahr? Sie nennen den CIA Ihren Kunden, weil Sie sich längst seiner Kontrolle entzogen haben. Niemand darf
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