Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
voller Geräusche.«
    »Muss mich wohl geirrt haben.«
    Ein Klappen ertönte. Jerry erschrak, rührte sich jedoch nicht. Das Fenster war wieder geschlossen.
    Jemand bewegte sich auf das Haus zu. Zwei Männer. Es waren Pauncho und Johnson. Sie sprachen laut miteinander. Einer klopfte an die Tür. Von innen wurde geöffnet.
    Die beiden Besucher kamen schnell zur Sache. Ihre Stimmen klangen fröhlich, während sie den Anwälten nahe legten, einen Ausflug in den Dschungel zu unternehmen, am besten sofort. Einige Sätze, aus denen Jerry nur einzelne Wortfetzen herauspflücken konnte, gingen hin und her. Mehrmals tauchte der Begriff »Selbstmord« auf. Allmählich wurde die Unterhaltung angeregter und damit lauter.
    »Für die Leute zu sterben ist revolutionärer Selbstmord. Wir sterben, um den Faschismus und Rassismus zu entlarven«, verkündete Pauncho.
    »Gibt es denn keinen anderen Weg?«, erkundigte sich der Anwalt, dessen Stimme Jerry jetzt als diejenige von Mr Compte erkannte.
    »Der Reverend ist unser Licht im Dunkel dieser Welt. Wohin er geht, werden wir folgen«, antwortete Pauncho.
    »Dann seien Sie mir und meinem Kollegen wenigstens dabei behilflich, uns aus der Sache rauszuhalten. Irgendjemand muss aufschreiben, was hier geschehen ist, damit die Welt Ihre wahren Gründe erfährt.«
    Leises, für Jerry unverständliches Gemurmel umwehte das Haus. Dann willigte Pauncho in freundlichem Ton ein.
    »Wie kommen wir aus dieser Siedlung heraus?«, erkundigte sich der andere Anwalt.
    »Nehmen Sie ein Flugzeug.«
    »Es gibt keines. Das wissen Sie so gut wie wir.«
    »Dann müssen Sie durch den Busch gehen.«
    »Bei Dunkelheit? Wie sollen wir…«
    »Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit, Mr Garry. Und jetzt haben wir noch etwas zu tun. Viel Glück!«
    Jerrys Herz blieb fast stehen, als sie die beiden Wachmänner näher kommen hörte. Schnell lief sie zur Rückseite des Hauses. Anscheinend hatten sich Johnson und Pauncho denselben Weg zum Pavillon ausgesucht wie sie. Mit dem Rücken drückte sie sich an die Holzwand und vergaß ganz das Atmen, als die beiden Wachleute an ihr vorübergingen. Und dann hatte sie einen für ein fünfjähriges Mädchen bemerkenswerten Einfall: Johnson und Pauncho konnten sich überall in der Siedlung blicken lassen, denn sie gehörten zur Sicherheitsmannschaft. Wenn sie sich daher an die Fersen der beiden Männer heftete, dürfte sie unbemerkt zum Pavillon gelangen.
    Das Mädchen erkannte nicht die Gefahr, in die es sich durch diesen gewagten Entschluss begab. Vielleicht gelang sein Plan genau deshalb.
    Wie schon am Morgen fand Jerry unter einem Schuppen Deckung. Das lang gezogene Gebäude stand parallel zur Längsseite des Pavillons und war von diesem nur durch einen Weg sowie einen schmalen begrünten Streifen getrennt. In der Freilufthalle brannten sämtliche Lichter, denn die Nacht zog schnell herauf. Zahlreiche Menschen, vom Alarmruf des Reverend aufgeschreckt, hatten sich darin versammelt. Jerrys Herz machte einen Sprung, als sie auf der Bühne ihre Mutter sah. Doch dann lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, weil sie den Mann dahinter erkannte. Es war Eugene Smith.
    »Papa?«, flüsterte das Mädchen, weil es seinen Vater nirgends sehen konnte.
    Eugene legte eine Hand auf die Schulter von Jerrys Mutter und beugte sich zu ihrem Ohr hinab. Augen, die keine Brauen besaßen, blickten auf ihr dunkles Haar herab, während breite Lippen etwas flüsterten. Jerrys Mutter zuckte zusammen. Dann erhob sie sich und verließ mit Eugene den Pavillon.
    Das Mädchen schob sich rückwärts, um wieder in die Schatten zu entschwinden und den beiden hinterherzuschleichen, aber da hörte sie ein Scharren ganz in ihrer Nähe. Eine dunkle Gestalt baute sich neben dem Schuppen auf. Es war Pauncho. Er hielt ein Gewehr im Arm. Gleich darauf erschien ein zweiter Schemen. Weil sein Gesicht im Dunkeln lag, konnte Jerry ihn nicht erkennen. Aber sie sah die Umrisse einer Armbrust in seiner Hand.
    Keinen Mucks!
    Die Mahnung ihrer Mutter hallte in Jerry wider. Solange die beiden Posten dort wachten, würde sie sich nicht von der Stelle rühren.
    Im Pavillon hielt Vater Jones eine Predigt. Vieles davon verstand Jerry nicht, anderes kam ihr sattsam bekannt vor. Vom Sterben war da die Rede, immer und immer wieder. Dennoch spürte sie Unterschiede zu allen früheren Predigten. Während sie den sonderbaren Sehnsüchten des Reverend einen Sinn abzutrotzen versuchte, ging ihr allmählich ein Licht auf. Endlich glaubte

Weitere Kostenlose Bücher