Der silberne Sinn
des Messias verkaufte, meine Eltern umgebracht hat. Mit Ihrem Götterschmus können Sie vielleicht meinen Großvater beeindrucken – der ist ein frommer Mann –, aber ich berausche mich lieber an der Wissenschaft. Die dürfte ehrlicher und auch ein ganzes Stück handfester sein als dieser mystische Kram.«
McFarell schüttelte bedauernd den Kopf. »Sie wollen Gott für etwas bestrafen, das ein Gottloser Ihnen und Ihrer Familie angetan hat. Ist das vernünftig, Jerry?«
»Es bewahrt mich vor Enttäuschungen.«
»Einstein hat einmal gesagt: ›Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind.‹ Jeder tief schürfende wissenschaftliche Geist, diese Ansicht teile ich mit ihm, besitzt auch eine eigentümliche Religiosität, die sich im verzückten Staunen über die Harmonie der Naturgesetze und den dahinter stehenden überlegenen Verstand äußert. Glauben Sie mir, meine Liebe, ohne ein gewisses Maß an Spiritualität werden Sie die wirklich großen Geheimnisse nie ergründen.«
»Und um welches Geheimnis geht es im Speziellen?«
»Zunächst sollten wir das Allgemeine klären, die Umstände, bevor ich Sie in die Details einweihe.«
»Sie machen es wirklich spannend, Stan. Diese ›Umstände‹ haben nicht rein zufällig etwas mit dem Film über das Jonestown-Massaker zu tun?«
McFarell griff wieder zu seinem Becher, nippte am Kaffee und legte dann den Kopf schief. »Jedem anderen würde ich mit Nein antworten, aber Ihnen… Kurz gesagt: Ich möchte Sie mit der Leitung einer Expedition betrauen. Das Zielgebiet liegt in den Wassarai Mountains, also im Regenwald von Süd-Guyana.«
Yeremis Kinnlade sackte herab, und sie rutschte tief in den Sessel hinein. Noch während sie sich wieder aufrichtete, machte sie ihrer Entrüstung Luft. »Keine zehn Pferde bringen mich je wieder nach Guyana! Sie müssen vom Teufel geritten sein, dass Sie mir diesen Vorschlag überhaupt unterbreiten.«
Der Professor blickte nachdenklich in seinen Kaffee und nickte gewichtig. »Ich dachte mir schon, dass Sie so reagieren würden, es ist nur allzu verständlich. Sie verbinden traumatische Erlebnisse mit diesem Land, aber bevor Sie mir vorschnell einen Korb geben, sollten Sie eines bedenken, Jerry: Die Reise nach Guyana könnte für Sie – das sage ich als Freund und Psychologe – neben dem wissenschaftlichen auch einen therapeutischem Nutzen haben.«
»Sie meinen in der Art, wie man Leuten die Spinnenphobie austreibt – indem man ihnen eine Tarantel zum Spielen gibt? Darauf kann ich verzichten. Und überhaupt: Was soll ich in Guyana, Stan? Mein Schwerpunkt liegt auf den präkolumbischen Hochkulturen, wobei die Betonung auf dem Wörtchen ›hoch‹ liegt. In den vergangenen drei Jahren habe ich mich ausschließlich den Inka gewidmet, und die Ergebnisse der letzten Kampagne in Machu Picchu sind noch längst nicht ausgewertet. Wieso wollen Sie gerade mich in ein Land schicken, in dem bestenfalls die Tropenwaldkulturen von Arawaken- und Karibenstämmen zu erforschen sind? Das waren Jäger, Sammler und Fischer, nichts im Vergleich zu den Inka, Maya, Azteken, Olmeken…«
»Jerry«, sagte McFarell leise. Doch weil sie nicht sofort reagierte, wiederholte er ihren Namen in eindringlicherem Ton: »Jerry! Bitte hören Sie mir doch zu. Ich will Sie keineswegs nach Süd-Guyana schicken, um Sie von Ihrem Forschungsschwerpunkt abzuziehen, sondern gerade weil Sie mit Ihren speziellen Kenntnissen und Fähigkeiten die ideale Besetzung dafür sind.«
Yeremis Mund, der nach McFarells Unterbrechung offen geblieben war, klappte hörbar wieder zu. »Ich glaube, Stan, jetzt sollten Sie allmählich deutlicher werden. Was soll diese Expedition bezwecken?«
»Haben Sie schon einmal etwas von den ›Weißen Göttern‹ gehört?«
»Sie meinen von jener geheimnisvollen prähistorischen Hochkultur, die von dem urzeitlichen Superkontinent Gondwana kam und deren Spuren einige Träumer irgendwann unter dem Eis der Antarktis zu finden hoffen? Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit den pseudowissenschaftlichen Hypothesen von Graham Hancock oder gar den Hirngespinsten dieses Schwediken…«
»Sie meinen Erich von Däniken.«
»Ist doch egal. Bis heute habe ich Sie für einen seriösen Wissenschaftler gehalten, Stan.«
»Oh, danke. Dann mag es Sie beruhigen, wenn ich mich hier und heute ausdrücklich von allen wichtigtuerischen Fantasten distanziere. Andererseits sollten wir nicht leichtfertig etwas als unseriös abtun, nur weil
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