Der silberne Sinn
setzen Sie sich wieder hin«, erwiderte McFarell kühl, fiel aber, nachdem Yeremi seinem Befehl Folge geleistet hatte, sogleich wieder in seinen großväterlichen Ton zurück. »Wir beide kennen doch das Geschäft: Die wissenschaftliche Forschung hängt am Tropf von Staat und Wirtschaft. Ohne Fördergelder läuft nichts. Um es deutlich zu sagen: Das kostspielige Hobby Flatstones ist momentan der einzige Strohhalm, an den ich mich klammern kann, um die Fakultät vor einschneidenden Kostensparmaßnahmen zu bewahren.«
»Uff!« Yeremi stieß hörbar die Luft aus. Sie brauchte einen Moment, um diese Eröffnung zu verdauen. Einsparungen bedeuteten meist auch Personalabbau. Zwar genoss sie als zukünftige Bellman-Erbin den Vorzug finanzieller Unabhängigkeit, aber die Arbeit an der Universität bedeutete ihr Leben. Sichtlich geknickt, fragte sie schließlich: »Warum haben Sie nie etwas davon erwähnt?«
»Jeder Ebbe folgt eine Flut – ich glaubte, den Engpass aus eigener Kraft überwinden zu können. Aber nun brauche ich Ihre Hilfe, Jerry.«
»Reden wir endlich Klartext, Stan. Worum geht es bei dieser Expedition wirklich?«
Die grünen Augen des Professors zitterten einen Moment. Dann antwortete er: »Um das Wesen und das Wissen der Weißen Götter.«
»Wären Sie zufrieden, wenn ich Ihnen verriete, dass es Außerirdische waren?«
McFarell lachte lautlos, was allein am Hüpfen seines Oberkörpers zu erkennen war. »Das würde mich, offen gestanden, überraschen. Flatstone – und ich muss zugeben, auch mich – interessiert vornehmlich, warum man den so genannten Weißen Göttern die Gabe zuspricht, Herzen zu lesen und sie wie Ton zu formen.«
Yeremi nickte langsam. »Jetzt dämmert mir, warum Sie mich wirklich in Ihre Vorlesung gelockt haben.«
Der Professor gönnte sich ein kleines Lächeln. »Ihr Scharfsinn hat mir schon immer gefallen, Jerry. Der Zusammenhang zwischen meinem heutigen Vortrag und der geplanten Expedition lässt sich nicht leugnen. Es geht, hier wie da, um Empathie. Die Weißen Götter waren aller Wahrscheinlichkeit nach empathische Telepathen. Nein!« McFarell riss wie zur Abwehr die Hände hoch. »Schütteln Sie nicht gleich den Kopf, sondern nehmen Sie sich Zeit, um in Ruhe über diese Möglichkeit nachzudenken. Fragen Sie sich, wie die weißen Zivilisationsbringer ihre Schützlinge innerhalb weniger Generationen auf eine kulturell so viel höher stehende Entwicklungsstufe heben konnten. Für mich gibt es nur eine Antwort: durch Empathie. Die uns angeborene Gabe der Einfühlung ist nichts gegen jene urwüchsige Kraft der Weißen Götter aus vorgeschichtlicher Zeit. Sie beschränkten sich nicht darauf, die einzigartigen Erfahrungen ihrer Mitmenschen zu verstehen, sondern besaßen überdies die Fähigkeit, aktiv auf deren Gefühle einzuwirken.«
Yeremi starrte ihren Mentor konsterniert an. »Sie wollen mich also tatsächlich auf die Suche nach Telepathen schicken?«
»Hier geht es um empathische Telepathie, nicht um die Wahrnehmung ideomotorischer Muskelbewegungen oder andere Formen des so genannten Gedankenlesens.«
»Was Sie nicht sagen! Vergessen Sie ‘s, Stan! Die unterschiedlichen Theorien und Mythen über die Zivilisationsbringer, die auf Schiffen kamen und ihre hoch entwickelten Kenntnisse an die Ägypter, die Sumerer, die mesoamerikanischen Indianer, vielleicht sogar an die Ureinwohner Japans weitergegeben haben, sind mir hinlänglich bekannt. Ich will die Fakten auch gar nicht leugnen. Na schön, es hat um das Jahr 3000 vor unserer Zeitrechnung am Nil wie am Euphrat, am Indus wie auch anderswo eine wahre Kulturexplosion gegeben; in Ägypten ist plötzlich, ohne erkennbare Vorstufen, eine komplexe Hieroglyphenschrift aufgetaucht, und die frühen Kulturzentren zeichnen sich durch monumentale Pyramiden und den damit verbundenen Sonnenkult aus. Das alles gehört ja mittlerweile zum wissenschaftlichen Allgemeingut. Aber diese Telepathie-Nummer…« Yeremi schüttelte entrüstet den Kopf.
McFarell zupfte nachdenklich an einer buschigen Augenbraue. »Wussten Sie eigentlich, dass die Pharaonen gekokst haben?«
»Wie bitte?«
»Sie nahmen Kokain. Ein paar Kollegen vom Institut für Anthropologie und Humangenetik in München haben das bei der Untersuchung von ägyptischen Mumien festgestellt. Der Kokastrauch wächst aber nur in der Andenregion und einigen nördlicheren Gegenden Südamerikas. Woher also hatten die Pharaonen ihren Koks?«
»Was weiß ich! Niemand kann heute mit Sicherheit
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