Der silberne Sinn
war sie sogar kurzfristig als Leiterin zurückgetreten, weil der Sponsor ihr seinen Schulfreund, einen Gebrauchtwagenhändler aus Scottsbluff, Nebraska, ins Team hatte drücken wollen.
Hätte McFarell nicht Yeremis Leidenschaft als Forscherin geweckt, wäre sie wohl wenige Tage nach ihrer Zusage ein zweites Mal von einem bereits rollenden Expeditionszug abgesprungen, weil sie sich wie eine Galionsfigur vorkam, die zwar für den Fachbereich ihre Nase in den Wind recken durfte, aber letztlich doch nur dekoratives Beiwerk war. Den Kurs bestimmten andere, will heißen, Professor Stanley McFarell. Was er »Hilfestellung« nannte, empfand sie immer stärker als Bevormundung. Fast alles war schon geregelt, die Materialien bestellt, der Papierkram in die Wege geleitet, sogar die Mannschaft stand im Großen und Ganzen bereits fest.
An einem regnerischen Morgen zwei Wochen vor dem geplanten Aufbruch – es war der letzte Tag im September – machte Yeremi ihrem Unmut Luft. Als Aufhänger benutzte sie ein Relikt aus ihrer Studienzeit, das ihr wie ein Muttermal anhaftete: Der Professor nannte sie in schöner Regelmäßigkeit seine »Lieblingsfamula«. Yeremi fühlte sich durch diesen vermeintlichen Ehrentitel provoziert. Sie war alles andere als eine studentische Hilfskraft. Mit zweiunddreißig konnte sie schließlich nicht nur den Studienabschluss, sondern auch bahnbrechende Entdeckungen in der Feldforschung vorweisen, viel beachtete Veröffentlichungen und zwei unter ihrer Leitung äußerst erfolgreich verlaufene Expeditionen. Sie genoss die Anerkennung des Fachbereichs sowie die der internationalen Anthropologengemeinde. Nein, McFarell würde sie nicht wieder zu seinem Dienstmädchen machen, das ihm den Kaffee kochte und die Aktentasche hinterhertrug.
»So etwas habe ich nie von Ihnen verlangt.« Der Professor wirkte indigniert. Yeremi hatte ihn beim Springbrunnen vor der Kroeber Hall abgepasst. Sie trug einen Regenschirm, er nicht – die ideale Ausgangsposition für eine kurze, aber intensive Auseinandersetzung.
»Scheinbar holen Sie jetzt mit aller Macht Versäumtes nach«, schnaubte sie. »Wieso wollten Sie ausgerechnet mich für ein Vorhaben gewinnen, in dem ohnehin Sie alle Fäden in der Hand halten?«
McFarells weißer Haarkranz klebte an seinem Kopf, das Wasser lief ihm übers Gesicht. »Können wir das nicht in meinem Büro besprechen, Jerry? Hier draußen ist es ziemlich ungemütlich und…«
»Entweder hier oder gar nicht«, fiel sie ihm wütend ins Wort.
Das blaue Jackett des Professors färbte sich von den Schultern abwärts dunkel. Mürrisch musterte er seine Lieblingsfamula. Es fehlte nicht fiel, und Yeremi – sie stand direkt in einer Pfütze – würde mit dem Fuß aufstampfen. Er seufzte. »Wenn Sie den Eindruck haben, ich wollte Sie bei irgendetwas übergehen, dann ist das ein bedauerliches Missverständnis, Jerry. Wegen des eng gesteckten Zeitrahmens hatte ich schon gewisse Vorbereitungen treffen lassen, bevor ich Sie ins Boot geholt habe. Aber von nun an sind Sie der Steuermann.«
»Der die Befehle des Kapitäns zu befolgen hat – darum geht es ja gerade, Stan!«
McFarell übte sich eine Weile in Seelenmassage und verwies auf die »Sachzwänge«, womit er vor allem das Geld von Jefferson H. Flatstone meinte. Allmählich beruhigte sich Yeremi wieder. Der Professor – inzwischen hätte man ihn auswringen können – tat alles, um seine Kompromissbereitschaft unter Beweis zu stellen.
»Sagen Sie mir, was Sie brauchen, Jerry, und Sie werden es bekommen.«
Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Als Forschungseinrichtung können wir die Öffentlichkeit nicht gänzlich außen vor lassen. Zu viel Geheimniskrämerei könnte uns den Vorwurf eintragen, die Ergebnisse zu manipulieren. Trotzdem möchte ich für die multimediale Dokumentation der Expedition jemanden haben, der auch einmal ein Bild zurückhält, wenn es mir nötig erscheint.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, denken Sie an einen seriösen Journalisten, der über alle Zweifel erhaben ist. Ich vermute, Sie haben schon jemanden im Auge.«
»Irma Block. Sie fotografiert für National Geographic.«
»Genießt sie Ihr Vertrauen?«
Yeremi zögerte und sah den Professor unter ihrem Regenschirm hervor an. »Ich habe sie bei den Ausgrabungen des Inka-Friedhofs in Lima kennen und schätzen gelernt. In ihrem Metier ist sie ein absoluter Profi, und außerdem versteht sie genug von unserer Arbeit, um uns nicht im Wege zu stehen.«
»Das
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