Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
Vom Netzwerk:
Kind. Du gehörst zu ihnen.
    Sie halten dir ein Glas Wasser an die Lippen und s a gen: »Ganz ruhig. Pst. Alles vorbei.«
    Pst.
    Und noch jahrelang wird der Betreffende dich anrufen oder dir schreiben. Du bekommst Postkarten und manchmal auch Schecks.
    Wer auch immer es ist, dieser Mensch wird dich li e ben.
    Er wird sehr stolz sein. Auch wenn deine echten Eltern es vielleicht nicht sind. Dieser Mensch wird stolz auf dich sein, weil du ihn stolz auf sich selbst gemacht hast.
    Du nippst an dem Wasser und hustest, damit der Held dir mit einer Serviette das Kinn abwischen kann.
    Tu alles, was dieses neue Band festigen kann. Diese Adoption. Denk an zusätzliche Einzelheiten. Mach ihnen Rotzflecken auf die Kleider, damit sie etwas zu lachen haben und dir verzeihen können. Halt dich an ihnen fest. Und weine, damit sie dir die Tränen troc k nen können.
    Weinen ist in Ordnung, solange du nur so tust als ob.
    Lass dich einfach gehen. Für jemand anderen wird das die beste Geschichte seines Lebens.
    Das Allerwichtigste – falls du nicht eine hässliche Na r be am Hals behalten willst – ist bei all dem, dass du wieder atmest, bevor jemand mit einem Steakmesser, einem Taschenmesser oder Teppichmesser in deine Nähe kommt.
    Ein weiteres Detail, das man nicht vergessen sollte, ist Folgendes: Wenn du den feuchten Klumpen ausspeist, den mit Sabber vermischten, halb zerkauten Fleisc h batzen, musst du Denny in die Augen sehen. Er hat Eltern und Großeltern, Tanten und Onkel und Kusinen und Vettern bis zum Geht-nicht-mehr, tausend Leute, die ihm jederzeit aus jeder Patsche helfen. Das ist der Grund, warum Denny mich nie verstehen wird.
    Die übrigen Leute, alle anderen in dem Restaurant – manchmal stehen sie auf und applaudieren. Manche weinen vor Erleichterung. Angestellte kommen aus der Küche gerannt. Und wenige Minuten später erzählen sie einander die ganze Geschichte. Und alle spendi e ren dem Helden einen Drink. Und ihre Augen glänzen feucht.
    Sie alle schütteln dem Helden die Hand.
    Sie klopfen dem Helden auf die Schulter.
    Es ist zwar weitaus eher seine eigene Geburt als de i ne, aber noch Jahre später schickt dir dieser Mensch zu diesem Tag eine Geburtstagskarte. Und wieder hat deine überaus ausgedehnte Familie ein neues Mitglied gewonnen.
    Aber Denny schüttelt nur den Kopf und verlangt die Dessertkarte.
    Deswegen mache ich das alles. Nehme alle diese Schwierigkeiten auf mich. Um einen tapferen Fremden zum Helden zu machen. Um wieder einmal einen Me n schen vor der Langeweile zu retten. Es geht mir nicht nur ums Geld. Nicht nur um Bewunderung.
    Beides schadet aber auch nicht.
    Es ist ganz einfach. Es geht nicht darum, gut auszus e hen, jedenfalls nicht an der Oberfläche – aber es ist ein Gewinn. Du brauchst dich nur demütigen zu la s sen. Nur dein Leben lang den Leuten zu sagen: Es tut mir Leid. Es tut mir Leid. Es tut mir Leid. Es tut mir Leid. Es tut mir Leid …

8
    Eva verfolgt mich durch den Flur. Sie hat Putenschni t zel in den Taschen, zerkaute Bouletten in den Sch u hen. Ihr Gesicht, das pulvrig zermanschte Fiasko ihrer Haut, besteht aus hundert Falten, die alle auf den Mund zustreben. Sie rollt hinter mir her und sagt: »Du. Lauf nicht weg vor mir.«
    Sie rollt mir nach. Ihre Hände sind mit knotigen Adern überzogen. Verkrümmt im Rollstuhl hockend, schwa n ger mit ihrer gewaltig angeschwollenen Milz, sagt sie immer wieder: »Du hast mir wehgetan.«
    Sie sagt: »Das kannst du nicht abstreiten.«
    Ihr Lätzchen hat die Farbe von Essen. Sie sagt: »Du hast mir wehgetan. Das sag ich Mutter.«
    Wo meine Mutter untergebracht ist, muss sie ein Ar m band tragen. Beileibe kein Schmuckstück, sondern ein festes Plastikband ums Handgelenk, hitzeversiegelt, sodass sie es nicht abmachen kann. Man kann es nicht zerschneiden. Man kann es nicht mit einer Zigarette aufschmelzen. Das hat man alles schon versucht, um hier rauszukommen.
    Wenn man mit diesem Armband durch die Gänge geht, hört man überall Schlösser zuschnappen. I r gendein in das Plastik eingebauter Magnetstreifen sendet Signale aus. Und diese Signale lassen einem die Aufzugtüren vor der Nase zugehen, verschließen fast jede Tür, der man näher als einen Meter kommt. Man kann die Etage, der man zugewiesen ist, nicht verlassen. Man kann nicht auf die Straße gehen. Man darf in den Garten, den Tagesraum, die Kapelle oder den Speisesaal, aber sonst darf man nirgendwohin.
    Falls man doch irgendwie durch eine Außentür g e langt, löst das Armband

Weitere Kostenlose Bücher