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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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als Victor Mancini vorstellen.
    Auf diese Weise findet Denny vielleicht heraus, wer ich wirklich bin. Auf diese Weise findet meine Mutter vie l leicht etwas Frieden. Legt ein paar Pfunde zu. Erspart mir die Ausgaben für den Magenschlauch. Stirbt nicht.
    Als Denny von der Toilette zurückkommt und der Wachmann uns in den Wohnbereich des St. Anthony ’ s führt, sagt Denny: »Die Toilettentür war nicht abz u schließen. Als ich auf der Schüssel war, ist glatt eine alte Frau bei mir reingeplatzt.«
    Ich frage, ob sie Sex haben wollte.
    Und Denny sagt: »Wie bitte?«
    Wir gehen durch ein paar Türen, die der Wachmann aufschließen muss, dann durch einige weitere Türen. Die Schlüssel klirren an seiner Hüfte. Sogar um den Hals hat er einen dicken Fettwulst.
    »Deine Mutter«, sagt Denny. »Sieht sie dir ähnlich?«
    »Schon möglich«, sage ich, »außer dass sie, na ja … «
    Und Denny sagt: »Außer dass sie halb verhungert ist und nichts mehr in der Birne hat, richtig?«
    Und ich sage: »Hör schon auf.« Ich sage. »Okay, sie war eine beschissene Mutter, aber sie ist die Einzige, die ich habe.«
    » ‘ tschuldige, Mann«, sagt Denny. »Aber merkt sie denn nicht, dass ich nicht du bin?«
    Hier im St. Anthony ’ s müssen sie die Vorhänge schon zuziehen, bevor es dunkel wird, wenn die Insassen sich nämlich selbst in einem Fenster gespiegelt sehen, dann denken sie, dass jemand von außen zu ihnen reinschaut. Das nennt man hier die »Abendkrise«. Wenn die alten Leute bei Sonnenuntergang den Rappel kriegen.
    Die meisten Leute hier könnte man vor einen Spiegel setzen und ihnen erzählen, das sei ein Fernseher, in dem eine Sondersendung über arme, alte, sterbende Menschen laufe, und die würden sich das stundenlang ansehen.
    Das Schwierige ist: Meine Mutter redet nicht mit mir, wenn ich Victor bin, und sie redet auch nicht mit mir, wenn ich ihr Anwalt bin. Also setze ich jetzt darauf, ihren Pflichtverteidiger zu spielen, während Denny mich spielt. Ich locke sie aus der Reserve. Denny hört zu. Vielleicht redet sie dann.
    Man stelle sich das als eine Art Mummenschanz vor.
    Unterwegs fragt der Wachmann, ob ich nicht der Typ sei, der Mrs. Fields Hund vergewaltigt habe?
    Nein, sage ich. Das ist eine lange Geschichte, sage ich. Ungefähr acht Jahre lang.
    Wir finden meine Mutter im Tagesraum, sie sitzt an einem Tisch, ein Puzzle vor sich ausgebreitet. Minde s tens tausend Teile, aber keine Schachtel, die einem zeigt, wie es aussehen soll. Könnte alles Mögliche sein.
    Denny fragt: »Ist sie das?« Er sagt: »Mann, die sieht dir überhaupt nicht ähnlich.«
    Meine Mutter schiebt Puzzleteile hin und her, manche liegen mit der grauen Pappseite nach oben, und ve r sucht, sie zusammenzusetzen.
    »Mann«, sagt Denny. Er dreht einen Stuhl herum, setzt sich an den Tisch und legt die Arme vor sich auf die Rückenlehne. »Nach meiner Erfahrung löst man solche Puzzles am besten, wenn man erst einmal die Randstücke raussucht.«
    Die Augen meiner Mutter lassen Denny nicht los, sie kriechen über sein Gesicht, seine aufgesprungenen Lippen, seinen rasierten Schädel, die aufgeplatzten Nähte seines T-Shirts.
    »Guten Morgen, Mrs. Mancini«, sage ich. »Heute b e sucht Sie Ihr Sohn Victor. Das ist er.« Ich sage: »H a ben Sie ihm nicht etwas Wichtiges mitzuteilen?«
    »Ja«, sagt Denny und nickt. »Ich bin Victor.« Er hat schon angefangen, Teile mit einer geraden Kante he r auszusuchen. »Soll das Blau hier Himmel oder Wasser sein?«, sagt er.
    Und die alten blauen Augen meiner Mutter werden feucht.
    »Victor?«, sagt sie.
    Sie räuspert sich. Sie starrt Denny an und sagt: »En d lich kommst du.«
    Denny schiebt weiter die Puzzleteile umher, sucht die geraden heraus und legt sie beiseite. In den Stoppeln auf seinem rasierten Kopf hängen roten Flusen von seinem rot karierten Hemd.
    Die alte Hand meiner Mutter rutscht über den Tisch und schließt sich um Dennys Hand. »Schön, dich zu sehen«, sagt sie. »Wie geht es dir? So lange nicht mehr gesehen.« Ein bisschen Augensaft sickert ihr von einem Lid durch die Runzeln bis zum Mundwinkel.
    »Gott«, sagt Denny und zieht die Hand zurück. »Mrs. Mancini, Sie haben ja eiskalte Hände.«
    Meine Mutter sagt: »Entschuldigung.«
    Es riecht nach Kohl oder Bohnen, Kantinenessen, das zu Matsch zerkocht wird.
    Und ich stehe die ganze Zeit einfach da.
    Denny setzt ein kleines Stück Rand zusammen. Er sieht mich an und sagt: »Und wann lernen wir deine fantastische Ärztin

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