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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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das Blut; aber das ist natürlich nur miese Heuchelei. Fest steht, dass Männer zu nichts im Stande sind, was auch nur annähernd so unglaublich wäre. Körperkraft, F ä higkeit zum abstrakten Denken, der Phallus – alles, was die Männer den Frauen vorauszuhaben scheinen, ist im Grunde zu nichts zu gebrauchen.
    Mit einem Phallus kann man nicht mal einen Nagel einschlagen.
    Frauen haben schon von Geburt an überlegene Fähi g keiten. Erst wenn Männer gebären können, können wir anfangen, uns über Gleichberechtigung zu unterha l ten.
    Das alles sage ich Paige nicht.
    Stattdessen erzähle ich von meinem Bedürfnis, für irgendeinen Menschen der Schutzengel zu sein.
    »Rache« ist nicht das richtige Wort, aber das erste, das mir dazu einfällt.
    »Dann rette sie, du brauchst nur mit mir zu schlafen«, sagt Dr. Marshall.
    »Aber ich will nicht, dass sie wieder ganz hergestellt wird«, sage ich. Ich habe schreckliche Angst, sie zu verlieren, aber wenn ich sie nicht verliere, verliere ich womöglich mich selbst.
    Ich habe immer noch das rote Tagebuch meiner Mu t ter in der Tasche. Und ich muss noch den Pudding b e sorgen.
    »Du willst nicht, dass sie stirbt«, sagt Paige, »und du willst nicht, dass sie gesund wird. Also, was willst du?«
    »Ich brauche jemanden, der Italienisch lesen kann«, sage ich.
    Paige sagt: »Wieso?«
    »Hier«, sage ich und zeige ihr das Tagebuch. »Von meiner Mutter. Sie hat es auf Italienisch geschrieben.«
    Paige nimmt das Buch und blättert darin herum. Ihre Ohren sind an den Rändern erregt gerötet. »Ich hatte während des Studiums vier Jahre Italienisch«, sagt sie. »Ich kann dir sagen, was hier steht.«
    »Ich will die Sache nur nicht aus der Hand verlieren«, sage ich. »Ich möchte zur Abwechslung selbst mal der Erwachsene sein.«
    Dr. Paige Marshall blättert weiter und sagt: »Du willst, dass sie schwach bleibt, damit du die Sache unter Kontrolle behalten kannst.« Sie blickt zu mir auf und sagt: »Hört sich an, als ob du Gott spielen möchtest.«

19
    Schwarz-weiße Hühner torkeln durch das alte Dun s boro, Hühner mit abgeplatteten Schädeln. Hühner o h ne Flügel, Hühner mit nur einem Bein. Hühner ohne Beine, die mit ihren zerfetzten Flügeln durch den Schlamm des Scheunenhofs rudern. Hühner ohne A u gen. Ohne Schnabel. Schon so geboren. Missgebildet. Die kleinen Hühnerhirne von Geburt an im Eimer.
    Es gibt eine unsichtbare Grenzlinie zwischen Wisse n schaft und Sadismus, aber hier wird sie sichtbar.
    Nicht dass es meinem Hirn viel besser ergeht. Man sehe sich nur meine Mutter an.
    Dr. Paige Marshall sollte sich mal ansehen, wie die Hühner sich durchs Leben kämpfen. Auch wenn sie ’ s nicht kapieren würde.
    Denny greift in die Hosentasche und zieht eine Seite aus dem Kleinanzeigenteil der Zeitung heraus, die winzig zusammengefaltet ist. So was ist natürlich nicht erlaubt. Wenn Seine Königliche Exzellenz, der Gouve r neur, das sieht, wird Denny in die Arbeitslosigkeit ve r bannt. Also wirklich, mitten auf dem Scheunenhof vor dem Kuhstall hält Denny mir diese Zeitungsseite hin.
    Von der Zeitung abgesehen, sind wir so authentisch, dass nicht mal unsere Kleider am Leib in diesem Jah r hundert gewaschen worden sind.
    Die Leute machen Fotos, weil sie einen Teil von dir als Souvenir mit nach Hause nehmen wollen. Sie hanti e ren mit Videokameras, weil sie dich in ihren Urlaub einschließen wollen. Sie filmen dich, sie filmen die verkrüppelten Hühner. Alle versuchen sie, jede Minute der Gegenwart für immer festzuhalten. Jede Sekunde.
    Aus dem Kuhstall kommt ein Gluckern; da rauchen welche eine Wasserpfeife. Man kann sie nicht sehen, aber man spürt das angespannte Schweigen, mit dem ein paar Leute dicht gedrängt im Kreis hocken und die Luft anhalten. Ein Mädchen hustet. Ursula, das Milc h mädchen. Der Stall ist so voller Haschischqualm, dass auf einmal auch eine Kuh husten muss.
    Eigentlich sollten wir jetzt getrocknete Kuhscheiße aufsammeln oder wie das heißt, Kuhfladen, aber De n ny bedrängt mich: »Lies das, Mann. Die eingekreiste Anzeige.« Er faltet die Seite auseinander. »Die hier«, sagt er. Eine Kleinanzeige, mit roter Tinte eingekreist.
    Nebenan das Milchmädchen. Die Touristen. Mindestens eine Milliarde Möglichkeiten, dass wir erwischt werden. Auffälliger könnte Denny sich wirklich nicht benehmen.
    Das Zeitungsblatt ist noch warm von Dennys Hintern. Als ich sage: »Nicht hier, Mann«, und es ihm zurüc k geben will …
    Als ich das tue, sagt

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