Der Simulant
Denny: »Entschuldige, das wollte ich nicht, ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bri n gen. Wenn du willst, lese ich es dir vor.«
Für die Grundschüler, die hierher kommen, ist es eine aufregende Sache, den Hühnerstall zu besichtigen, zu sehen, wie die Eier ausgebrütet werden. Aber ein normales Huhn ist natürlich nicht so interessant wie, sagen wir, ein Huhn, das nur ein Auge hat, oder ein Huhn, das keinen Hals hat, oder ein Huhn mit einem verkümmerten Bein; und deshalb schütteln die Kinder die Eier. Sie schütteln sie kräftig durch und legen sie dann wieder unter die Bruthenne zurück.
Und wenn die Küken dann missgebildet oder wahnsi n nig aus dem Ei schlüpfen? Alles im Dienste der Erzi e hung.
Wenn sie Glück haben, kommen sie tot zur Welt.
Neugier oder Grausamkeit? Dr. Marshall und ich kön n ten uns darüber die Köpfe heiß reden.
Ich schaufle ein paar Kuhfladen zusammen und passe auf, dass sie nicht auseinander fallen. Dann würden sie nämlich anfangen zu stinken. Mit der ganzen Ku h scheiße an den Händen darf ich nicht an den Nägeln kauen.
Denny liest mir vor:
»In gute Hände abzugeben. Dreiundzwanzig, män n lich. Selbstbeflecker in Therapie, eingeschränkte F i nanzen und soziale Fähigkeiten. Stubenrein.« Dann eine Telefonnummer. Seine Telefonnummer.
»Von meiner Familie, Mann. Das ist ihre Telefonnu m mer«, sagt Denny. »Ein Wink mit dem Zaunpfahl.«
Die Anzeige hat er gestern Abend auf seinem Bett g e funden.
Er sagt: »Die meinen mich.«
Ich sage, so weit hätte ich das auch verstanden. Ich befördere mit der Holzschaufel immer noch Kuhfladen in so ein großes geflochtenes Ding. Wie sagt man. In einen Korb oder so.
Denny fragt, ob er zu mir ziehen kann.
»Das ist Plan Z«, sagt Denny. »Ich frage dich nur, weil ich sonst niemand weiß.«
Ob er das sagt, weil er mir nicht auf den Keks gehen will oder weil er nicht gerade verrückt darauf ist, bei mir zu wohnen, frage ich nicht.
Man kann riechen, dass Denny Chips gegessen hat. Noch ein Verstoß gegen seine historische Rolle. Er zieht die Scheiße an wie ein Magnet. Das Milchmä d chen Ursula kommt aus dem Kuhstall und sieht uns mit ihren bekifften, blutunterlaufenen Augen an.
»Wenn dir ein Mädchen gefallen würde«, sage ich zu ihm, »und wenn sie Sex mit dir haben will, nur um schwanger zu werden … Würdest du ’ s machen?«
Ursula rafft die Röcke hoch und stapft in ihren Hol z schuhen durch die Kuhkacke. Sie tritt nach einem blinden Huhn, das ihr im Weg ist. Jemand fotografiert sie dabei, beim Treten. Ein Ehepaar bittet sie, ihr Baby für ein Foto auf den Arm zu nehmen, aber dann sehen die beiden anscheinend ihre Augen.
»Ich weiß nicht«, sagt Denny. »Ein Baby ist doch was anderes als ein Hund. Also, ein Baby lebt ziemlich la n ge, Mann.«
»Und wenn sie das Baby dann gar nicht behalten will?«, frage ich.
Dennys Augen gehen rauf und runter, ins Leere, dann sieht er mich an. »Versteh ich nicht«, sagt er. »Du meinst, wenn sie es verkaufen will?«
»Ich meine, wenn sie es opfern will«, sage ich.
Und Denny sagt: »Mann.«
»Nur mal angenommen«, sage ich, »sie pfuscht i r gendwie an dem kleinen ungeborenen Fötus herum, saugt ihm mit einer dicken Nadel das Gehirn heraus und spritzt das Zeug irgendwem in den Kopf, der e i nen Hirnschaden hat. Um ihn zu heilen«, sage ich.
Dennys Kinnlade geht runter. »Mann, du redest doch jetzt nicht von mir, oder?«
Ich rede von meiner Mutter.
Man nennt das Nerventransplantation. Oder auch Ne r venverpflanzung. Es ist die einzige effektive Methode, das Gehirn meiner Mutter in diesem letzten Stadium wiederherzustellen. Die Methode wäre besser bekannt, wenn es da nicht Probleme gäbe, die alles andere in den Schatten stellen.
»Ein geschrotetes Baby«, sagt Denny.
Ich sage: »Ein Fötus.«
Fötales Gewebe, hat Paige Marshall gesagt. Dr. Mar s hall, diese Haut, dieser Mund.
Ursula bleibt bei uns stehen, sie zeigt auf die Zeitung in Dennys Hand. Sie sagt: »Wenn die nicht von 1734 ist, bist du erledigt. Klarer Verstoß gegen deine Rolle.«
Die Haare auf Dennys Schädel versuchen, wieder zu wachsen, nur dass manche eingewachsen sind und in roten oder weißlichen Pickeln stecken.
Ursula geht weiter, dreht sich noch einmal um. »Vi c tor«, sagt sie, »wenn du mich brauchst, ich gehe jetzt Butter stampfen.«
Ich sage: Später. Und sie trampelt davon.
Denny sagt: »Mann, du musst dich also zwischen de i ner Mutter und deinem Erstgeborenen entscheiden?«
In Dr.
Weitere Kostenlose Bücher