Der Simulant
Leistu n gen berichtet«, sagt Paige Marshall. »Ich weiß, dass du mit ein bisschen Sex zum Vergnügen kein Problem hast. Oder liegt es nur an mir? Bin ich nicht dein Typ? Ist es das?«
Wir verfallen in Schweigen. Eine staatlich geprüfte Schwesternhelferin schiebt einen Wagen mit zerknül l ten Laken und feuchten Handtüchern an uns vorbei. Ihre Schuhe haben Gummisohlen, der Wagen läuft auf Gummirädern. Die altmodischen Korkfliesen auf dem Fußboden sind vom vielen Hin und Her dunkel poliert. Sie schwebt geräuschlos an uns vorbei, nur abgesta n denen Uringeruch im Schlepptau.
»Versteh mich nicht falsch«, sage ich. »Ich will dich ja ficken. Ich will dich wirklich ficken.«
Ein paar Meter weiter bleibt die Schwesternhelferin stehen und dreht sich nach uns um. Sie sagt: »He, Romeo, kannst du der armen Dr. Marshall nicht mal eine Pause gönnen?«
Paige sagt: »Schon gut, Miss Parks. Das geht nur mich und Mr. Mancini etwas an.«
Wir starren sie an, bis sie mit höhnischem Grinsen um die nächste Ecke verschwindet.
Sie heißt Irene, Irene Parks, und ja, okay, vor einem Jahr haben wir es mal miteinander getrieben, auf dem Parkplatz, in ihrem Auto.
Siehe auch: Caren, staatlich geprüfte Krankenschwe s ter.
Siehe auch: Jenine, Schwesternhelferin.
Damals hatte ich gedacht, jede von ihnen würde sich als etwas Besonderes erweisen, aber ohne ihre Kleider waren sie alle nur noch ganz gewöhnlich. Heute finde ich ihren Arsch nicht viel einladender als einen Ble i stiftspitzer.
Zu Dr. Paige Marshall sage ich: »Da irrst du dich.« Ich sage: »Ich bin so scharf darauf, dich zu ficken, dass ich es schmecken kann.« Ich sage: »Und, nein, ich will nicht, dass irgendwer stirbt, aber ich will auch nicht, dass meine Mutter wieder so wird wie früher.«
Paige Marshall atmet aus. Sie spitzt den Mund zu e i nem festen kleinen Knoten und starrt mich finster an. Sie nimmt das Klemmbrett vor die Brust und ve r schränkt die Arme davor.
»Aha«, sagt sie. »Mit Sex hat das also nichts zu tun. Du willst nur nicht, dass deine Mutter wieder gesund wird. Du kommst mit starken Frauen nicht zurecht, und du denkst, wenn sie stirbt, bist du deine Probleme mit ihr los.«
Meine Mutter ruft aus dem Zimmer: »Morty, wofür bezahle ich dich?«
Paige Marshall sagt: »Du kannst meine Patienten b e lügen und ihre Lebenskonflikte zum Abschluss bringen. Aber du darfst dich nicht selbst belügen.« Sie sagt: »Und du darfst mich nicht belügen.«
Paige Marshall sagt: »Wenn ’ s nach dir ginge, kann sie eher sterben als wieder gesund werden.«
Und ich sage: »Ja. Ich meine, nein. Ich meine, ich weiß nicht.«
Mein Leben lang war ich nicht so sehr das Kind meiner Mutter als vielmehr ihre Geisel. Der Gegenstand ihrer sozialen und politischen Experimente. Ihre private Laborratte. Jetzt ist sie in meiner Hand, und sie soll mir nicht entwischen, weder durch Sterben noch durch Gesundwerden. Ich brauche einfach einen Menschen, den ich retten kann. Einen Menschen, der mich braucht. Der ohne mich nicht leben kann. Ich will ein Held sein, aber nicht nur ein einziges Mal. Ich will der ständige Erlöser eines Menschen sein, selbst wenn sie dafür in diesem gelähmten Zustand bleiben muss.
»Ich weiß, ich weiß, ich weiß, das klingt schrecklich«, sage ich, »aber ich weiß nicht … Ich denke mir das so.«
Jetzt müsste ich Paige Marshall erzählen, was ich wir k lich denke.
Ich meine, ich habe es einfach satt, ständig im U n recht zu sein, nur weil ich ein Mann bin.
Ich meine, wie oft muss man sich von allen Seiten sagen lassen, man sei der tyrannische, von Vorurteilen zerfressene Feind, bis man aufgibt und wirklich zum Feind wird? Ich meine, ein Mann kommt nicht als Chauvinistenschwein auf die Welt, er wird dazu g e macht, und immer mehr ist es so, dass er von Frauen dazu gemacht wird.
Nach einiger Zeit drehst du dich um und akzeptierst das einfach: Du bist ein sexistischer, selbstgerechter, unsensibler, grober, kretinhafter Kretin. Die Frauen haben Recht. Du hast Unrecht. Du gewöhnst dich d a ran. Du erfüllst ihre Erwartungen.
Auch wenn der Schuh nicht passt: Du wächst hinein.
Ich meine, in einer Welt ohne Gott – sind da nicht die Mütter an seine Stelle getreten? Die letzte heilige, u n angreifbare Position. Ist Mutterschaft nicht das letzte, perfekte magische Wunder? Allerdings ein Wunder, das Männern vorenthalten bleibt.
Und die Männer sagen vielleicht, sie seien froh, dass sie nicht gebären müssen, all die Schmerzen und
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