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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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ist er rot.
    Zu Zahnfleischbluten siehe auch: Mundhöhlenkrebs.
    Siehe auch: Nekrotische Gingivitis.
    Das einzig Gute an der Messdienerei ist, dass man jedem, der die Kommunion empfängt, die Patene u n ters Kinn halten muss.
    Das ist ein goldenes Tellerchen an einem Stab, mit dem die Hostie aufgefangen wird, falls sie mal runte r fällt. Auch wenn die Hostie den B o den berührt, muss sie noch gegessen werden. Sie ist geweiht. Sie ist zum Leib Christi geworden. Sie ist der Fleisch gewordene Gott.
    Ich sehe von hinten zu, wie Paige Marshall immer wi e der mit dem blutigen Faden im Mund der alten Frau herumfährt. Auf Paiges Kittel sammeln sich immer mehr weiße und graue Teilchen an. Und kleine rosa Flecken.
    Eine Schwester steckt den Kopf zur Tür rein und sagt: »Alles in Ordnung hier?« Und zu der alten Frau im Sessel sagt sie: »Paige tut Ihnen doch nicht weh, o der?«
    Die Frau gurgelt eine Antwort.
    Die Schwester sagt: »Wie bitte?«
    Die alte Frau schluckt und sagt: »Dr. Marshall ist sehr behutsam. Viel behutsamer als Sie, wenn Sie mir die Zähne machen.«
    »Fast fertig«, sagt Dr. Marshall. »Sie machen das sehr gut, Mrs. Wintower.«
    Und die Schwester zuckt die Schultern und geht.
    Das Gute an der Messdienerei ist, dass man die Leute mit der Patene an den Hals stoßen kann. Die Leute, die mit gefalteten Händen auf der Bank knien und ein Gesicht machen, als müssten sie würgen, gerade in dem Augenblick, wo sie am allerfrömmsten sind. Das hat mir immer gefallen.
    Wenn der Priester ihnen die Hostie auf die Zunge legt, sagt er jedes Mal: »Der Leib Christi.«
    Und derjenige, der die Kommunion empfängt, sagt: »Amen.«
    Am besten ist es, sie so am Hals zu treffen, dass das »Amen« wie ein Babykrächzen rauskommt. Manche quaken auch wie eine Ente. Oder gackern wie ein Huhn. Aber man musste das natürlich so machen, dass es ganz unabsichtlich wirkte. Und man durfte dabei nicht lachen.
    »Fertig«, sagt Dr. Marshall. Sie richtet sich auf, und als sie den blutigen Faden in den Mülleimer wirft, e r blickt sie mich.
    »Ich wollte nicht stören«, sage ich.
    Sie hilft der alten Frau aus dem Sessel und sagt: »Mrs. Wintower? Würden Sie bitte Mrs. Tsunimitsu reinschicken?«
    Mrs. Wintower nickt. Sie fährt sich mit der Zunge im Mund herum, befühlt die Zähne, dann saugt sie die runzligen Lippen ein. Ehe sie auf den Flur hinausgeht, sieht sie mich an und sagt: »Howard, ich habe dir ve r ziehen, dass du mich betrogen hast. Du brauchst mir also nicht ständig nachzulaufen.«
    »Denken Sie dran, Mrs. Tsunimitsu reinzuschicken«, sagt Dr. Marshall.
    Ich sage: »Und?«
    Und Dr. Marshall sagt: »Ich muss den ganzen Tag Zahnpflege machen. Was willst du?«
    Ich will wissen, was im Tagebuch meiner Mutter steht.
    »Ach, das«, sagt sie. Sie rupft sich die Latexhan d schuhe ab und stopft sie in einen Behälter für So n dermüll. »Dieses Tagebuch beweist eigentlich nur, dass deine Mutter auch schon Wahnideen hatte, bevor du auf die Welt gekommen bist.«
    Was für Wahnideen?
    Paige Marshall schaut auf die Uhr an der Wand. Sie zeigt auf den Sessel, den mit Plastik im Lederlook b e zogenen Liegesessel, den Mrs. Wintower eben verla s sen hat, und sagt: »Setz dich.« Sie streift ein frisches Paar Latexhandschuhe über.
    Will sie mir etwa die Zähne reinigen?
    »Das ist gut gegen Mundgeruch«, sagt sie. Sie zieht ein Stück Zahnseide ab und sagt: »Setz dich, dann erzähl ich dir, was in dem Tagebuch steht.«
    Als ich mich setze, drückt mein Gewicht eine Wolke üblen Gestanks aus dem Sessel.
    »Das war ich nicht«, sage ich. »Dieser Gestank, meine ich. Der kommt nicht von mir.«
    Und Paige Marshall sagt: »Vor deiner Geburt war de i ne Mutter eine Zeit lang in Italien. Richtig?«
    »Das soll das große Geheimnis sein?«, sage ich.
    Und Paige sagt: »Was?«
    Dass ich Italiener bin?
    »Nein«, sagt Paige. Sie beugt sich über meinen Mund. »Aber deine Mutter ist doch katholisch, oder?«
    Es tut weh, als der Faden zwischen zwei Zähne ei n dringt.
    »Bitte keine Scherze«, sage ich. An ihren Fingern vo r bei sage ich: »Ich bin weder Italiener noch katholisch! Nein, das ist zuviel!«
    Ich sage, dass ich das alles doch schon weiß.
    Und Paige sagt: »Halt den Mund.« Sie richtet sich auf.
    »Also, wer ist mein Vater?«, sage ich.
    Sie beugt sich wieder vor, und der Faden schiebt sich zwischen zwei Backenzähne. An der Zungenwurzel sammelt sich Blutgeschmack. Sie blinzelt mich ko n zentriert an und sagt: »Tja, wenn du an die

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