Der Simulator
sagte erst mal nichts. »Ja, also...« Vielleicht hatte ihn mein Schweigen aus dem Konzept gebracht. »Nun, weswegen ich anrufe...« Er bemühte sich, betont jovial zu klingen, »nun, wir haben hohen Besuch, und ich möchte Sie gerne vorstellen. Natürlich nur, wenn Sie nichts Wichtigeres zu tun haben.« Er lachte. Kurz war ich versucht, eine dringende Arbeit vorzuschieben, aber dann nickte ich. Es war nicht klug, jetzt den Bogen zu überspannen. »Wie schön, wie schön, kommen Sie doch gelegentlich herauf.« Als der Schirm erlosch, hatte er sich bereits umgedreht.
Wenn es etwas gab, worauf ich jetzt keine Lust hatte, dann war das der Austausch von Höflichkeiten mit irgendeiner der Honoratioren, die regelmäßig Kowalski besuchten. Meistens handelte es sich um Lokalpolitiker oder um hochrangige Vertreter der Wirtschaft oder der Medien. Alles Leute, die Kowalski auf die eine oder andere Weise für sich einzuspannen gedachte oder die sich bereits in irgendeiner Weise verdient gemacht hatten.
Missmutig öffnete ich meine Tür und stieß beinahe mit Kerstin zusammen, die mit schnellem Schritt den Gang entlangkam.
»Hallo Nachbar!« rief sie mir fröhlich zu, und ich stutzte.
»Nachbar?« Wenn mich nicht alles täuschte, lag ihr Büro ein gutes halbes Dutzend Stockwerke entfernt, auch wenn ich mich nicht daran erinnerte, ob nach oben oder unten.
Sie deutete auf eine Tür, die sich fast genau meiner gegenüber öffnete. »Mein neues Domizil.« Dann lächelte sie. »Jetzt sehen wir uns hoffentlich häufiger, ob freiwillig oder notgedrungen.«
»Wie kommt’s?« fragte ich, ohne mir meine Verwunderung anmerken zu lassen.
»Ab sofort bin ich dem Simulator zugeteilt. Schnelle Eingreiftruppe oder so.« Sie deutete zur Decke. »Befehl von ganz oben.«
»Und Frau Schneider?« Ich mochte es, mit der älteren Dame von der internen PR ein paar Sätze zu wechseln. In der kleinen Kaffeeküche zwei Türen weiter, hatten wir uns manchmal unterhalten.
»Abberufen? Aufgestiegen?« Wieder ein Blick zur Decke.
»Ja, dann ... willkommen im Club.« Ich machte schon Anstalten weiter zu gehen, als ich noch einmal stehen blieb und mich umdrehte: »Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, wenn man mich vorher gefragt hätte.« Sie hob Hände und Schultern, als wollte sie sagen: ‚Beschwere dich nicht bei mir.’ Und im Grunde hatte sie recht. Es hatte keinen Sinn, meinen Unmut an ihr auszulassen. Die richtige Adresse war zweifelsohne Kowalski.
Während ich auf den Aufzug wartete, überlegte ich, was Kowalski mit diesem Schachzug bezweckte. Sollte Kerstin mich kontrollieren? War sie ein Maulwurf, den er in unsere Abteilung eingeschleust hatte? Oder begann ich auch hier, dunkle Machenschaften zu wittern, während er uns in gutem Glauben mit einer Personalaufstockung helfen wollte? Kerstin war eine glänzende Analytikerin, das war unbestritten, aber von Simulatorik verstand sie nicht allzu viel, das hatte mir unser Gespräch vor kurzem auf dem Fest mehr als deutlich gemacht.
In Kowalskis Büro erwartete mich eine weitere Überraschung. Auch wenn ich seinem Gast noch nie persönlich begegnet war, erkannte ich ihn sofort. Zu häufig sah man sein Gesicht in den TriVid-Übertragungen. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht seine Meinung zu einem aktuellen Thema zum Besten gab. Auch wenn er noch nie ein öffentliches Amt bekleidet hatte, bestimmte er die deutsche Politik seit fast zwanzig Jahren entscheidend mit.
Es erwartete mich niemand geringerer als der Vorsitzende der Grünen Sicherheitspartei, Alexander Trautmann, einer Partei zudem, die seit ungezählten Legislaturperioden regierte und, nach Einführung der Dreißig-Prozent-Klausel und dem Übergang zum Zweiparteiensystem, bei der letzten bundesweiten Wahl die absolute Mehrheit errungen hatte.
Alexander Trautmann war ein Politiker neuen Typs. Obwohl er sicherlich auf die sechzig zuging, gab er sich gerne locker und jugendlich. Er war groß und blond, seine Haut war leicht gebräunt und straff. Man sah ihm an, dass er jeden Tag zweimal eine längere Strecke joggte, und er ließ es sich nicht nehmen, bei dem einen oder anderen Halbmarathon mitzulaufen. Das alles wusste ich aus der Presse. Nicht in der Presse stand, dass seine Partei ein guter Kunde der Sinex AG war – seine Partei, die Regierung und die meisten Ministerien.
Denn auch das gehörte zu einem modernen Politiker und einer modernen Partei: Sie überließen nichts dem Zufall und bedienten sich überaus fleißig der
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