Der Simulator
irgendeine andere Partei an die Tür eines dieser hervorragenden Institute klopft – sehr richtig, mein lieber Marc – dann erhalten sie dort die gleichen hervorragenden Dienstleistungen wie hier. Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu, Marc?«
Ich nickte: »Aber nur wir haben einen Simulator.«
»Nun, lassen Sie uns den Simulator nicht überschätzen. Der Simulator ist nur ein Tool«, Kowalski flocht einen seiner Lieblingsbegriffe ein, »von vielen. Ein wichtiges Tool, gewiss, aber andere Mütter haben auch schöne Töchter, nicht wahr?« Dann lächelte er: »Und es wäre nicht fair, uns zum Vorwurf zu machen, dass wir besser arbeiten als andere.«
»Herr Lapierre«, Trautmann schaltete sich wieder ins Gespräch ein, »wir sind uns in diesem Punkt völlig einig: Es darf und es wird keinen politischen Missbrauch von Simulationen geben. Und doch brauchen wir dieses Wunderwerk – und das sage ich, obwohl ich weiß, dass ich damit die Preise in schwindelerregende Höhen treibe.« Er lachte. »Wir müssen die Menschen noch besser verstehen. Wir müssen unsere Politik noch menschlicher gestalten.« Er schien einen Augenblick zu überlegen. »Es gibt Entwicklungen«, er warf Kowalski einen Blick zu, »neue Entwicklungen. Entwicklungen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind...«
»Noch nicht bekannt...« ergänzte Kowalski.
»Sehr richtig, denn wir werden schon sehr bald die Medien informieren.« Abermals stockte er. »Nun, es gibt Bestrebungen von Seiten der GSD und GFD, in Zukunft enger zusammenzuarbeiten. Offen gesagt, wir wissen alle, dass der Weg vom Zweiparteien-zum Einparteiensystem nicht weit ist. Das jetzige Zweiparteiensystem war ein richtiger und notwendiger Schritt. Aber es ist Zeit, den nächsten Schritt zu gehen. Deshalb nähern sich die GSD und die GFD einander an. Am Ende steht vielleicht sogar eine Fusion, wer weiß? Grüne Sicherheits-und Fortschrittspartei Deutschlands, wie klingt das, Kowalski, Sie alter Marktforschungsfuchs?«
Kowalski, der nicht erfreut schien, dass Trautmann mich so freizügig einbezog, schwieg. Aber ohnehin hatte dieser nicht mit einer Antwort gerechnet.
»Schauen Sie, Lapierre«, er nahm meinen Arm und zog mich heran. »Wo liegen wir in den aktuellen Umfragen? Knapp sechzig Prozent, stimmt’s?« Seine Hand hielt mich in einem eisernen Griff. »Sechzig Prozent! Es fehlen uns also gerade mal sieben Prozent zur Zweidrittelmehrheit. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Jedes Kind wusste, was das bedeutete.
»Wir könnten die Verfassung ändern. Die Verfassung! Streng genommen bräuchten wir die GFD also gar nicht. Aber wir wollen kein böses Blut, wir wollen sie mit ins Boot nehmen. Gemeinsam können wir alles erreichen. Und dann wird sich alles zum Guten wenden in diesem Land!« Trautmann stieß mir einen Finger gegen die Brust. »Und jetzt kommen Sie ins Spiel. Wie regiert man ein solches Land? Woher weiß man, was die Menschen wirklich wollen? Woher? Die Wahlen«, er zog das Wort in die Länge, »sind ja dann nicht wirklich aussagekräftig.« Wieder ein schmales Lächeln. »Ganz genau! Meinungsforschung! Sehen Sie jetzt, wie wichtig Sie und der Simulator für uns sind, für uns als Partei, als Regierung, als Gesellschaft?«
So selbstverständlich er das sagte, so ungeheuerlich waren seine Worte. Hatte ich erst kurz zuvor vollmundig meinen erbitterten Widerstand gegen jegliche Art von politischem Missbrauch angekündigt, fragte ich mich jetzt, was ich wirklich tun konnte.
War das ein Umsturz, ein Putsch oder nur die ganz legale Umwandlung der Gesellschaft? Auf jeden Fall waren Trautmanns Pläne schon weit gediehen, und er würde seine Ziele wahrscheinlich mit und ohne Simulator erreichen. Warum spielte Kowalski aber mit, was hatte die Sinex AG davon, dass es nur noch eine einzige, allmächtige GSFD gab?
Auch diese Antwort kam vom großen Vorsitzenden. »Mit einer Zweidrittelmehrheit können wir vieles ändern, wir können alles ändern.« Er ging einige Schritte bis zur Fensterfront. »Das 2. Demoskopiegesetz war ein schrecklicher Fehler. Kein vernünftiger Mensch kann das heute bestreiten. Doch damals, damals waren sich alle einig, und auch wir können uns unserer Verantwortung nicht entziehen. Wir haben dieses Gesetz maßgeblich durchgesetzt. Ich kann sogar sagen, ohne uns gäbe es dieses Gesetz nicht.« Er sah kurz zu Kowalski hinüber. »Aber es gab mächtige Lobbyisten, die dieses Gesetz um jeden Preis wollten, und es gab Experten, die uns den Untergang der
Weitere Kostenlose Bücher