Der Simulator
Marktforschung. In unzähligen Studien wurde die Stimmung im Land untersucht, die Wirkung jeder politischen Entscheidung und jeder Maßnahme. Sympathie-und Imagewerte wurden erhoben, lang-und kurzfristige Trends, und ständig wusste man, welche Probleme den Menschen tatsächlich wichtig waren, was sie sich wünschten und was sie verabscheuten.
Natürlich konnte man die aktuelle Politik nicht an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen ausrichten. Aber man konnte die notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen so verpacken, dass sie von den Wählern so weit wie möglich angenommen wurden. Letztlich war alles eine Frage der Kommunikation. Und wenn dann tatsächlich einmal etwas auf Protest stieß, dann hieß es, man habe die Notwendigkeit dieses oder jenes Beschlusses offenbar nicht hinreichend kommuniziert. Ein anderer Ausdruck dafür, dass die Marketingstrategen versagt hatten, die Werbefritzen oder vielleicht sogar die Marktforscher selbst, die am Anfang dieser Kette standen.
Bei alledem spielten die Sinex-Milieus eine entscheidende Rolle, und so war es nicht verwunderlich, dass Trautmanns Partei Stammkunde unseres Instituts geworden war.
Als ich das riesige Büro betrat, waren Kowalski und Trautmann in ein Gespräch vertieft. Doch Kowalski winkte mich sofort heran. »Kommen Sie, kommen Sie, mein lieber Marc!« Und zu Trautmann gewandt, fügte er hinzu: »Darf ich Ihnen Marc Lapierre vorstellen? Neuer technischer Direktor des Bereichs Simulation und Norbert Blinzles Nachfolger.« Natürlich hätte ich schon jahrelang mit Blinzle zusammengearbeitet, sei sogar sein Schüler gewesen, so dass ich geradezu dazu prädestiniert sei, dessen Arbeit fortzuführen.
»Das freut mich«, sagte Trautmann, wobei unklar blieb, ob er sich auf unser Kennenlernen oder meinen beruflichen Aufstieg bezog. »Natürlich bedauern wir auf das Außerordentlichste die Umstände, die zu diesem Wechsel geführt haben.« Seinem Gesicht nach zu urteilen, schien sich das Bedauern allerdings in Grenzen zu halten. »Und doch, jeder Anfang – wie sagt man so schön? – birgt auch neue Chancen.«
Mein Gehirn arbeitete langsam, doch ich begann zu verstehen. Trautmann, Kowalski, Blinzle. Ein magisches Dreieck, das nicht funktionieren konnte. Jetzt wurde mir klar, worauf Blinzle angespielt hatte, wenn er von politischen Vorhersagen warnte. Ihm war es nie darum gegangen, gesellschaftspolitische Fragen grundsätzlich aus dem Simulator zu verbannen. Es war der politische Missbrauch, den er gefürchtet hatte und das offenbar zu recht. Was aber wollte Trautmann wirklich? Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
»Blinzle stand mir sehr nahe, und ich verdanke ihm alles«, begann ich. »Wir haben den Simulator gemeinsam aufgebaut, und ich gedenke, diese Arbeit in seinem Sinne weiterzuführen. Und doch«, fuhr ich nach einer kleinen Pause fort, »werde ich manches anders handhaben. Damit meine ich nicht nur den Umgang mit den Mitarbeitern, sondern auch die inhaltliche Arbeit am Simulator selbst.« Kowalski hing ausnahmsweise an meinen Lippen und nickte mir in regemäßigen Anständen aufmunternd zu. »Auf keinen Fall werde ich aber zulassen, dass der Simulator von irgendeiner Seite instrumentalisiert wird. Genauso wie Blinzle, werde ich jegliche Form politischen Missbrauchs bekämpfen.«
»Es steht uns fern...«
Alexander Trautmann wurde von Kowalski unterbrochen, der erregt die Hände hob. »Lapierre, also wirklich! Was reden Sie da?! Kein Mensch hat etwas Ungesetzliches vor, schon gar nicht unsere Freunde von der Grünen Sicherheitspartei. Na, was sage ich, Freunde... Die GSD ist ein Kunde wie jeder andere auch, ein geschätzter Kunde, ein wichtiger Kunde gewiss, aber eben nur ein Kunde, der für unsere Dienstleistungen bezahlt. Nicht wenig bezahlt, ganz nebenbei bemerkt. Und niemand hätte etwas dagegen, wenn morgen auch die GFD an unsere Tür klopfen würde. Die GFD oder irgendeine andere Partei.«
Trautmann hob tadelnd den Zeigefinder: »Mein lieber Kowalski, ich darf Sie an unsere Klausel mit dem Wettbewerbsverbot erinnern.«
Kowalski wischte Trautmanns Bemerkung mit einer Handbewegung beiseite. »Das war doch nur ein Wortspiel! Es geht nicht um unsere Tür, es geht um irgendeine Tür, die Tür eines anderen Meinungsforschungsinstituts. Und es gibt viele hervorragende Institute in unserem Land, darum muss es uns nicht bange sein, gewiss nicht. Wenn also die GFD...«
»Oder irgendeine andere Partei...«, ergänzte ich ironisch.
»Oder
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