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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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er für sich selbst hinzu: »Dumme Frage, offensichtlich triffst du dich mit ihr.«
    »Auf was willst du hinaus, Doc?«
    »Einerlei«, er wischte beiseite, was immer ihm durch den Kopf gegangen sein mochte. »Ich habe über deine Depression nachgedacht, deinen Schuldkomplex.«
    Der Doc war in dieser Sache erstaunlich hartnäckig. Mein Wohlergehen schien ihm wirklich am Herzen zu liegen.
    »Nun, auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen«, er sah mich durchdingend an, »aber es ist wirklich wichtig, dass du das genau nachvollziehen kannst.«
    Er hatte mir die Zusammenhänge schon mehr als einmal erklärt und ich zweifelte mittlerweile daran, ob es sich wirklich so verhielt, wie er behauptete.
    »Die Macht, die dir der Simulator verleiht – grenzenlose Macht, Macht über Leben und Tod – befriedigt einerseits deinen natürlichen Narzissmus – hat es sich nicht schon jeder einmal gewünscht, allmächtig zu sein, gottgleich? – andererseits bürdet sie dir eine ungeheure Verantwortung auf. Macht ausüben heißt verantwortlich sein, heißt schuldig werden können.« So eindringlich er sprach, so wenig Neues konnte ich darin erkennen. »Je mehr du dich mit deinen kleinen Lebewesen identifizierst, mit deinen sogenannten Reaktionseinheiten, umso stärker entwickelt sich dieser Konflikt.« Er hob einen Finger. »Empathie heißt das Zauberwort. Deine Empathie macht deine Reaktionseinheiten zu wirklichen Menschen und dich zu einem schuldigen Gott. Denn der Allmächtige ist so schuldbeladen wie seine Macht umfassend ist.« Er lächelte jetzt. »Kann der Allmächtige mit seiner gewaltigen Verantwortung, seiner ungeheuren Schuld vielleicht umgehen – wir wissen es nicht, aber schließlich ist er ein richtiger Gott – übersteigt das deine Kräfte, deinen psychischen Apparat.«
    »Doc, ich glaube, ich habe das verstanden«, sagte ich sanft, »aber...«
    »Warte, Marc, ich bin noch nicht fertig.« Er rutschte auf seinem Stuhl ein Stück vor, beugte sich zu mir, die Hände auf meinem Schreibtisch. »Das ist in Kürze das, was ich dir zuletzt gesagt habe.« Ich nickte. »Seitdem habe ich nachgedacht, habe überlegt, welche Wendung dein Krankheitsbild nehmen könnte.« Ich fragte mich, auf was er hinaus wollte. »Warte!« Er hob die Hand. »Du steckst in einem Konflikt, einem Zwiespalt, der dich zu zermalmen droht. Deine Depression ist ein Ausweg. Doch ich fürchte, sie reicht nicht aus, diesen immensen inneren Druck, unter dem du stehst, abzubauen.«
    Das war eine lange Vorrede, und ich hoffte, er käme endlich auf den Punkt.
    »Ich denke, der nächste logische Schritt wäre, deine Wirklichkeit selbst anzuzweifeln.« Er sah mich erwartungsvoll an.
    »Ich verstehe dich nicht.«
    »Nun ja, die Frage ist doch, wie du deine Verantwortung wieder loswirst, deine Schuld...«
    »Und wie werde ich meine Schuld wieder los?« Ich war müde. Am liebsten wäre ich jetzt tatsächlich nach Hause gefahren.
    »Ganz einfach, indem du sie jemand anderem aufbürdest, einer höheren Macht, einem mächtigeren Gott, irgendeiner Instanz, die über dir steht. Wenn du selbst nur eine Marionette einer höheren Macht bist, trägst du auch keine Verantwortung mehr, keine Schuld.« Er machte eine lange Pause, während er mich aufmerksam musterte. »Oder du könntest denken, dass unsere eigene Welt genauso unwirklich wie die Welt deiner Reaktionseinheiten ist. Damit würdest du dich auf eine Stufe mit ihnen stellen. Du wärst kein Gott mehr, sondern ein Wesen wie sie.«
    Wie vom Donner gerührt starrte ich ihn an. »Was sagst du da?«
    »Vielleicht habe ich mich nicht verständlich genug ausgedrückt...«
    »Dass unsere Welt nicht wirklich ist?«
    »Ja, das wäre eine Möglichkeit. Nein, ich meine, natürlich ist unsere Welt wirklich, aber du könntest denken...«
    »Ich habe dich verstanden«, unterbrach ich ihn.
    Er sah mich an. »Was ist los mit dir, Marc? Du bist auf einmal ganz blass.«
    »Du wirst es nicht glauben, Doc, aber genau das ist mir heute Nachmittag durch den Kopf gegangen.«
    »Dass wir in einer von unendlich vielen Parallelwelten leben? Etwas in der Art? Das würde passen.«
    »Nein, dass wir in einem Simulator leben.«
    »Euer Simulator steht im Keller.«
    »Herrgott, Doc«, ich war aufgesprungen, » das ist der Simulator.« Ich schlug gegen die Wand, rüttelte am Tisch, gab dem zweiten Stuhl einen Tritt. »Unsere ganze gottverdammte Welt ist ein einziger, riesiger Simulator.«
    »Du meinst...« Er sah sich in meinem Büro um, als betrachte

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