Der Simulator
Aber es gab ohnehin keinen Ort, wo ich mich vor diesen Mächten hätte verstecken können.
Nach der Weltwirtschaftskrise hatte sich das Verhältnis des Vereinten Europas zur Schweiz immer weiter verschlechtert. Wechselseitige Sanktionen hatten das kleine Land in eine zunehmende Isolation geführt. Seit einigen Jahren bestanden nicht einmal mehr diplomatische Beziehungen zu den Ländern der Neuen Eurozone, und es bedurfte guter Gründe oder Beziehungen, um eine Einreisegenehmigung zu bekommen.
Mich betrafen diese Reisebeschränkungen allerdings nicht. Mein Vater war Schweizer Staatsbürger gewesen, und obwohl er das Land schon in jungen Jahren verlassen hatte, die Hütte war Eigentum unserer Familie geblieben. Mittlerweile nutzte ich sie allein, und sie stellte für mich eine unersetzbare Rückzugsmöglichkeit dar.
Dennoch wollte ich nicht den offiziellen Weg nehmen und die gut bewachte Grenzstation in Basel passieren. Zu groß erschien mir das Risiko, von der deutschen Polizei aufgegriffen zu werden. Sicherlich hatte man eine Fahndung nach mir ausgelöst und die Schweizer Grenze ganz besonders ins Auge gefasst.
Nachdem ich mich einige Blocks weit vom Bahnhof entfernt hatte, nahm ich mir ein Taxi. Es war eines dieser illegalen schwarzen Taxen, die zu einer regelrechten Plage geworden waren, mir aber an diesem Tag helfen würden, meine Spuren zu verwischen.
Ich ließ mich nach Wiesbaden fahren, einer Kleinstadt westlich der Mainmetropole. Dort nahm ich einen Regionalzug, der mich in gemächlichen drei Stunden und mit unzähligen Stopps nach Mannheim brachte. Da ich dort nicht unmittelbar am Shuttle-Bahnhof geparkt hatte, erreichte ich unbehelligt mein Fahrzeug.
Jetzt musste ich nur noch zur französisch-schweizerischen Grenze. Dort gab es eine Stelle, wo ich die grüne Grenze passieren konnte. Die Schotterpiste war schon in früheren Zeiten von Geldschmugglern benutzt worden, aber mit den Jahren in Vergessenheit geraten. Mein Vater hatte sie mir gezeigt.
Obwohl ich mit dem Auto nur wenige hundert Kilometer zurückzulegen hatte, brauchte ich dafür den ganzen restlichen Tag. Denn ich konnte keine Autobahnen oder Schnellstraßen benutzen. Die automatischen Mautkameras hätten sofort Meldung erstattet.
Als ich mein Auto vor der Hütte abstellte, war es fast Mitternacht. Ein kreisrunder Vollmond hing am Himmel, und so war ich die letzten Kilometer ohne Licht gefahren. Ich wollte so wenig wie möglich auffallen.
Als der Generator verstummt war, blieb ich im Auto sitzen. Im weißen Mondlicht, hob sich das Haus deutlich vor den Bäumen dahinter ab. Es war ein kleines Chalet, aber aus baurechtlichen Gründen hatte es mein Vater stets als Hütte bezeichnet. Typisch Schweizer Understatement.
Tür und Fensterländen schienen gut verschlossen. Das Brennholz an der Seite war sauber abgedeckt, und auch sonst gab es keine Hinweise, ich hätte in meiner Abwesenheit ungebetenen Besuch gehabt. Auch die häufigen Stürme, die es in dieser Höhe mittlerweile gab, hatten keine sichtbaren Spuren der Verwüstung hinterlassen.
Ich blieb trotzdem vorsichtig. Die deutschen Behörden fürchtete ich nicht, und auch die Schweizer Polizei ließ sich sicherlich nicht vor deren Karren spannen. Jederzeit konnte hier aber ein Abgesandter der höheren Wirklichkeit auftauchen. Wenn jemand käme, dann mit großer Wahrscheinlichkeit die Kontakteinheit selbst. So wäre meine Suche endlich zu Ende, und ich stünde ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Wenigstes das.
Irgendwann ging ich ins Haus hinein. Gepäck hatte ich keines dabei, doch ich hatte hier genügend Vorräte und auch Kleidung zum Wechseln.
Zuallererst betrat ich den Abstellraum. Dort hing das alte Jagdgewehr meines Vaters. Ich nahm auch die Patronenschachtel und legte beides auf den Küchentisch. Ich zerlegte das Gewehr und setzte es wieder zusammen. Da ich mit Waffen nicht sonderlich geübt war, nahm das eine gewisse Zeit in Anspruch. Soweit schien aber alles zu funktionieren.
Das dunkle Holz, das Gewicht des Metalls, der Geruch des Schmieröls, das alles übte eine ungeheuer beruhigende Wirkung auf mich aus. Mit dem Gewehr in der Hand fühlte ich mich halbwegs sicher, und so trug ich es in dieser Nacht mit mir herum, was auch immer ich tat.
Als nächstes kümmerte ich mich um meine kleine TriVid-Anlage. Ich hatte Hauptkommissar Bartels die Wahrheit gesagt, als ich behauptete, ich benutzte sie normalerweise nicht. So war die Satellitenschüssel verstellt, und ich musste sie
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