Der Simulator
Allerdings verspürte ich diesmal keinen Schwindel. Es war, als stünde jemand hinter mir, jemand, der sofort verschwand, kaum drehte ich mich um.
So begann ich hin und her zu laufen, ums Haus herumzugehen. Ich kontrollierte die Auffahrt, den Schuppen und den ehemaligen Viehstall dahinter, selbst dem Bootshaus auf der anderen Talseite stattete ich einen Besuch ab.
Was genau ich suchte, hätte ich nicht zu sagen gewusst. Kameras oder Mikrofone, Wanzen waren sicherlich nicht das, was ich zu entdecken hoffte. Eher schon die Spuren von Menschen, Fußabdrücke im feuchten Lehm, von Reifen niedergewalztes Gras, Hinweise auf aufgehebelte Fenster oder Türen.
Doch ich fand nichts Verdächtiges, was mich allerdings nicht beruhigte. Jemand beobachtete mich, da war ich mir sicher.
Auf einem dieser Streifzüge lief mir zum wiederholten Mal ein großer Hase über den Weg. Er hoppelte in kurzer Entfernung an mir vorbei, blieb immer wieder stehen, um sich neugierig umzuschauen. Angst schien das Tier nicht zu haben. Es lief zu den Autos, kletterte durch die offene Tür in Samanthas Leihwagen, um sich dann unweit des Hauseingangs niederzulassen, an einem Grashalm knabbernd und die Tür fest im Blick.
Vielleicht war ich wirklich übergeschnappt, und Docs Theorie der exogenen Paranoia feierte nach seinem bedauernswerten Tod einen späten Triumph. Aber das Verhalten des Tieres kam mir seltsam vor. Plötzlich war ich mir sicher, dass der Hase nicht echt war. Nein, natürlich war er nicht echt, denn er war simuliert so wie alles andere auch. Ich war davon überzeugt, dass der Hase ein Avatar eines Menschen aus der höheren Wirklichkeit war.
Denn das war durchaus möglich. Auch wir selbst hätten in einer beliebigen Gestalt unseren kleinen Simulator betreten können. Dass wir als Menschen hineingingen, lag nur daran, dass wir als Menschen dort am wenigsten auffielen. Wir hätten auch als Ratten oder Kakerlaken gehen können. Ein hiesiges Tier, ein Hase, ein Vogel, ein Reh fiele hier an diesem Ort am wenigsten auf.
Das Gewehr im Arm ging ich auf das Tier zu. Es hob den Kopf und sah mich an. Die Kaubewegung stockte für einen Augenblick, und ich dachte schon, es sei gleich mit einem Satz verschwunden, als sich die Kiefer wieder malend in Bewegung setzten. Es schien kein bisschen erstaunt oder gar verängstigt.
Ich schoss. Der Knall hallte erneut durchs Tal, brach sich an den Berghängen und kam als Echo zurück. Der Hase verschwand blitzschnell. Ich hatte in die Luft geschossen.
Ich stand mit erhobenem Gewehr so lange unbeweglich da, bis Samantha aus dem Haus gerannt kam.
»Was ist passiert, Marc? Wer hat geschossen?«
Ich drehte mich um, und sie fiel mir um den Hals.
»Bist du ok?«
Ich nickte. Ihr Blick fiel auf das Gewehr.
»Hast du geschossen?«
Wieder nickte ich. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen.« Was hätte ich ihr sagen sollen? Dass ich beinahe auf einen Hasen geschossen hätte, den ich verdächtigte, Agent einer höheren Wirklichkeit zu sein?
»Du hast mir einen Schreck eingejagt.« Sie löste sich von mir und nahm meine Hand. »Hoffentlich hat das niemand gehört.«
»Hier wird häufig gejagt, und die nächste Ansiedlung ist fast zehn Kilometer entfernt.«
»Lass uns wieder hineingehen.«
Ich schüttelte den Kopf und lud das Gewehr nach. »Ich bin noch nicht fertig.« Ich zeigte auf den Wald, der gleich hinter dem Haus begann. »Ich gehe noch eine Runde.«
»Aber pass auf. Im Wald kann ... alles Mögliche passieren.« Sie sah sich um. »Ich warte hier. Ein wenig Sonne wird mir gut tun.«
Sie setzte sich auf die Holzbank vor dem Haus und blinzelte in die Sonne, die bereits tief stand.
»Bis es dunkel ist, bin ich zurück«, sagte ich noch, als ich mich entfernte. Ich ließ sie ungern allein zurück, aber wenn sie wirklich eine Abgesandte der höheren Wirklichkeit war, dann drohte ihr keine unmittelbare Gefahr. Ich dagegen musste mich umsehen. Eine weitere Nacht in dieser Hütte überstand ich nur, wenn ich wusste, dass mir aus dem Dickicht dahinter keine Gefahr drohte. Außerdem wollte ich nach dem Hasen sehen. Vielleicht trieb er sich noch immer irgendwo herum.
Das Gewehr im Anschlag ging ich in den Wald hinein. Der schmale Weg führte zu einer Lichtung, das wusste ich. Das meinte ich zu wissen, verbesserte ich mich in Gedanken.
Ich spähte nach rechts und nach links. Das Unterholz war dicht. Dieser Wald wurde nicht bewirtschaftet. Abgesehen vom Brennholz, das ich regelmäßig schlug, blieb die Natur
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