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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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erst neu ausrichten.
    Eine Weile suchte ich herum, bis ich die Nachrichtensendung fand, die ich suchte. Dreimal sah ich mir den kurzen Beitrag an. Erst viel später, als ich die Verbindung unterbrochen hatte, kam ich langsam wieder zu mir.
    Ich wurde wegen Mordes an Norbert Blinzle gesucht, doch das war nichts Neues. Bemerkenswert dagegen war, dass man mich dabei beobachtet hatte, wie ich das BVI-Hochhaus betrat. Der fast zeitglich stattfindende Sturm der Interviewer auf die Sinex-Zentrale hatte genügt, um einen Zusammenhang herzustellen. Plötzlich war ich der Überläufer, dessen hinterhältiger Verrat Kowalski gekonnt und mit Krokodilstränen in den Augen vor laufender Kamera beklagte.
    Was mich aber wirklich schockierte und verstört zurückließ, war eine weitere Nachricht am Schluss des Berichts. Ich wurde auch wegen Mordes an Dr. Werner Schmitt gesucht. Ich hatte den ehemaligen Mentor und überaus loyalen Mitarbeiter Kowalskis auf brutalste Weise zu Tode gefoltert. Sicherlich, so wurde weiter gemutmaßt, um ihm weitere Firmengeheimnisse zu entreißen und auch diese der Gegenseite zu überbringen.
    Der Doc war tot. Keinen Augenblick zweifelte ich daran, dass ihn die höhere Wirklichkeit ausgeschaltet hatte. Obwohl er nie selbst daran geglaubt und sein Möglichstes getan hatte, um mich vom Wahnhaften meiner Theorien zu überzeugen. Vieles hatte er intuitiv verstanden und manches hatte er erraten. Und, wer weiß, vielleicht hatte ihn meine empirisch bestätigte Vorhersage, der große Steuermann würde zum entscheidenden Schlag ausholen, schließlich überzeugt.
    Obwohl ich ihn nicht umgebracht hatte, fühlte ich mich mitschuldig. Doch was hatte die höhere Wirklichkeit dazu veranlasst, ihn auf solch grausame Weise zu töten? Vielleicht gab es dort lauter Sadisten, die sich einen Spaß daraus machten, uns zu quälen.
    Später legte ich mich hin. Einschlafen konnte ich lange nicht. Wirre Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, bizarre Bilder verfolgten mich. Immer wieder sah ich den Doc, seinen zerschundenen Körper, seine schreckgeweiteten Augen.
    Ich musste schließlich doch eingeschlafen sein, denn ein Geräusch ließ mich hochfahren. Ich sprang auf, griff nach dem Gewehr und schlich zum Fenster. Neben meinem Auto hatte ein zweites geparkt. Jemand saß am Steuer, da aber der Mond bereits untergegangen war und der Morgen sich erst schwach am Horizont abzeichnete, konnte ich nicht erkennen, wer es war. Doch eins war sicher, ein mir freundlich gesonnener Besuch war das nicht.
    Als die Tür des Fahrzeugs aufging, schoss ich. Ein ohrenbetäubender Knall, dem das Bersten der Seitenscheibe folgte. Dann ein Schrei, ein heller durchdringender Schrei, der Schrei einer Frau.
    Mit dem schussbereiten Gewehr im Anschlag ging ich hinaus. Auf dem Boden neben der offenen Fahrertür lag Samantha. Ich hatte sie erschossen.
    Erst als ich über ihr stand, erkannte ich, dass sie noch atmete. Tatsächlich bewegte sie sich auch, und nach einem kurzen Augenblick stand sie benommen auf. Ich hatte sie wohl knapp verfehlt.
    »Mein Gott, Marc, ich bin’s doch!«
    Das Gewehr war mir aus der Hand geglitten. Was war nur mit mir los? Um ein Haar hätte ich sie getötet. »Samantha«, flüsterte ich, »wie kommst du hierher? Du solltest nicht hier sein.«
    Samantha erholte sich erstaunlich schnell von dem Vorfall. Immerhin war sie nur knapp mit dem Leben davongekommen. Wir saßen eng beieinander auf der Holzbank vor dem Kamin und tranken Tee. Nach einer Weile brannte das Holz, und draußen begann der neue Tag.
    Sie hatte keinen Augenblick an die Mordversion geglaubt, beeilte sie sich zu versichern. Natürlich hatte ich ihren Vater nicht getötet, und auch an Werner Schmitts Tod war ich unschuldig, davon war sie überzeugt. Allerdings schien auch sie von der Art und Weise betroffen, wie mein alter Lehrer ums Leben gekommen war.
    »Schrecklich, nicht wahr? Und so sinnlos«, fügte sie hinzu.
    Ja, das alles machte auch für mich keinen Sinn. Wenn er der höheren Wirklichkeit im Weg gewesen war, dann mochten sie ihn löschen, aus der Simulation herausnehmen oder umprogrammieren. Warum aber foltern? Warum diese Grausamkeit, diese Unmenschlichkeit?
    Doch vielleicht waren die höheren Wesen gar keine Menschen. Vielleicht waren sie uns völlig fremd in ihrer Art und Weise zu denken und zu fühlen. So wenig wir uns als Säugetiere in die Gefühlswelt eines Krokodils hineinversetzen konnten, so wenig verstanden wir womöglich die Sitten und Gebräuche

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