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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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größer als die Geheimtür in der Sistina, eine Blindtüre mit aufgesetzter Verdoppelung und massiven, kompliziert arbeitenden Scharnieren. Möglich, dass auch sie auf der Vorderseite verspachtelt und nicht von der Wand zu unterscheiden war. Aurelio versuchte, das Rauschen in seinen Ohren zu betäuben. Kein Laut drang durch die Tür. Seine Hand umschloss den eisernen Haken, der aus dem Holz ragte, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie musste von innen verriegelt sein.
    Inzwischen war Aurelios Mund ausgetrocknet, und der Schweiß rann ihm den Nacken hinab. Er stieg weiter die Treppe empor. Zwei Podeste später war sie zu Ende. Die Decke war vermauert. Doch es gab eine Tür, an der gleichen Stelle wie im darunterliegenden Stockwerk, und mit dem gleichen Haken, der aus dem Blatt ragte. Es war nicht nötig, zu überprüfen, ob Aurelio sie öffnen könnte. Sie war bereits geöffnet. Zwischen Blatt und Einfassung klaffte ein handbreiter Spalt. Aurelio steckte die Fackel in eine Fuge zwischen den Steinquadern und näherte sich der Tür. Diesmal hörte er etwas. Geräusche. Eine Stimme. Atemlos und so vorsichtig seine unstete Hand es vermochte, zog er die Tür auf. Die Stimme wurde lauter, aber nicht deutlicher. Er trat in den Durchgang. Dunkel umfing ihn. Und Wärme. Das Knacken eines Kaminfeuers war zu hören. Vorsichtig tasteten seine Hände die Wände ab. Die Stimme war ganz nah und doch ganz leise. Gedämpft. Etwas trennte ihn von dem Raum, doch es war keine Tür. Seine Hand stieß auf ein knotiges Gewebe und zuckte reflexartig zurück – ein Wandteppich! Aurelio befand sich hinter einer mächtigen, auf den Boden hinabreichenden Bildwirkerei. Mit pochenden Schläfen legte er sein Ohr an den Stoff.
    Die Stimme war dunkel, doch sie gehörte einer Frau. Wie Zimt und Leder. Einmal mehr hielt Aurelio den Atem an.
    »Sagt mir also, mein lieber Michelangelo«, sie sprach seinen Namen aus, als schmecke sie ihn auf der Zunge, »seid Ihr also zu einer Entscheidung gelangt?«
    »Das bin ich.«
    Die Stimme seines Meisters! Eine Armlänge von Aurelio entfernt. Direkt hinter dem Wandteppich! Aurelios Gedanken überschlugen sich: vier Podeste von da an, wo der Schacht gemauert war. Zwei Stockwerke. Der Gang durch die Katakombe mit der leichten Rechtskrümmung. Etwa siebzig Schritte vom Seiteneingang der Kapelle. Der Papstpalast. Aurelio befand sich im zweiten Stock des Papstpalastes, in den Räumen, die nicht existierten. Und die Stimme gehörte der Frau, die es nicht gab.
    »Und wie lautet sie?«
    »Ich werde den Auftrag nicht annehmen.«
    Eine gespannte Stille trat ein.
    »Darf ich Euch nach dem Grund fragen?«
    Michelangelo zögerte: »Ich kann Euch nicht geben, wonach Ihr verlangt.«
    Aurelio hörte Schritte. Sie schien durch den Raum zu gehen. »Wein?«, fragte sie. Ihre Stimme war jetzt sehr nah bei Aurelio. Er hörte, wie sie seinem Meister einschenkte, ohne seine Antwort abzuwarten. »Das ist der berühmte schwarze Wein von Cahors. Passt zu mir, findet Ihr nicht?«
    Michelangelo schwieg.
    »Eure Antwort ist Eurer nicht würdig«, fuhr Aphrodite fort. »Und das wisst Ihr ebenso gut wie ich. In Wirklichkeit verhält es sich andersherum: Nur Ihr seid in der Lage, mir zu geben, wonach ich verlange.«
    »Unsterblichkeit«, sagte Michelangelo.
    »Den Sieg über die Zeit. Nicht mehr und nicht weniger.« Aphrodite betonte Wort für Wort. Dabei ging sie offenbar in ihrem Gemach umher. Sie schien ihrer Vision Raum geben zu wollen. »Unsterblichkeit, für mich und meine Schönheit – ja. Und Ihr seid der einzige Mensch, der mir dazu verhelfen kann.«
    »Aber Ihr genießt bereits einen Ruhm, der seinesgleichen sucht«, gab Michelangelo zur Antwort. »Wenngleich es ein Ruhm ist, der ausschließlich im Verborgenen gedeiht.«
    »Wo er auch sterben wird«, entgegnete Aphrodite. »Bereits jetzt, zu Lebzeiten, bin ich ein Mythos. Seht mich an, Michelangelo! Bin ich vielleicht nicht aus Fleisch und Blut? Sobald der nächste Papst den Thron besteigt, werden die Menschen glauben, die Kurtisane Julius’ des Zweiten sei nie etwas anderes gewesen als eine erfundene Geschichte.«
    Michelangelo versuchte, unbeteiligt zu klingen: »Die meisten Frauen würden Euch um dieses Schicksal beneiden.«
    »Die meisten Menschen interessieren mich nicht!« Die Erregung in Aphrodites Stimme steigerte sich zu einer heiseren Bedrohung. »Die Menschen sollen wissen, dass ich gelebt habe. Und gelitten. Und dass meine Schönheit von einer Art war, dass der

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