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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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hatten Bugiardinis im Umgang mit den Pigmenten längst übertroffen, und Agnolo würde nichts mehr zum Gelingen des Freskos beitragen, das nicht Bastiano oder Rosselli ebenso gut ausführen könnten. Zumindest Agnolo, dessen war sich Michelangelo sicher, würde nicht allzu traurig sein. In Florenz warteten sein Bruder, seine Freunde, seine Bottega. Er hätte genügend zu tun. Und Bugiardini? Nun, dem genügten ein Kanten Brot und ein Platz zum Schlafen, um nicht unglücklich zu sein.
    Bastiano erhob keine Einwände. Das stand ihm nicht zu. Doch Aurelio sah ihm an, dass er mit Michelangelos Entscheidung, Agnolo und Bugiardini ziehen zu lassen, nicht einverstanden war. Vor allem Agnolo war ihm über die Zeit ein guter Freund geworden. Bastiano mochte seine unaufgeregte Gewissenhaftigkeit, seine ruhige und bescheidene Art. Zudem würde es in der Bottega ohne ihn weniger gesellig zugehen. Kein Kartenspiel mehr auf umgedrehten Kisten, keine leise, niemals verletzende Ironie, wenn Bugiardini die falsche Karte legte. In den Monaten ihrer Zusammenarbeit war die Bottega zu einer Familie zusammengewachsen, mit Rosselli als Mutter und Granacci als oft abwesendem, aber respektiertem Vater. Jetzt war es, als verließen die Söhne das Haus, manche im Streit, manche in Frieden. Die Familie brach auseinander. Nur die beiden Jüngsten waren noch da – Bastiano und Aurelio. Und Beato, der Fattorino.
    Agnolo erhob sich, ging um den Tisch herum und schloss Michelangelo in die Arme. Die Erleichterung stand dem Bildhauer ins Gesicht geschrieben. Gemeinsam hatten sie die Katastrophe des Freskos und die Entbehrungen des Winters überstanden. Was den späteren Triumph anging … Man konnte eben nicht alles haben.
    »Immerhin kann ich sagen, ich war dabei«, sagte Agnolo.
    Auch Bugiardini schloss Michelangelo ungelenk in die Arme. Und auch er wollte etwas sagen. Doch offenbar fand er nicht die passenden Worte.
    »Schon gut«, winkte Michelangelo ab.
    Während er die Münzen abzählte, verabschiedeten sich Agnolo und Bugiardini reihum von den anderen. Noch am selben Tag kehrten sie dem Haupt der Welt den Rücken und traten ihren Heimweg an. Sie verließen die Bottega ohne Groll. Das fertige Fresko sollte keiner von ihnen jemals zu Gesicht bekommen.

XXXII
    Statt gemeinsam mit den anderen die Kapelle zu verlassen, hatte sich Aurelio unter eine der Steinbänke gekauert, die den Altarbereich von der übrigen Kapelle abtrennten. Das machte ihn nicht unsichtbar, doch man hätte schon nach ihm suchen müssen, um ihn zu entdecken. Und eine andere Möglichkeit, sich innerhalb der Kapelle zu verstecken, gab es nicht. Die Wange auf dem kalten Steinboden, lauschte er den Geräuschen der Sistina. Eine Zeitlang waren aus dem Altarbereich geflüsterte Worte zu vernehmen, Schritte, das Rascheln einer Soutane, die direkt vor seinen Augen an der Bank vorbeiglitt. Er hörte die Stimme Paris de’ Grassis, der einen Messdiener zurechtwies. Dann wurde es still. Leise rauschten die Fackeln, deren unruhige Schatten die Mauern der Kapelle zu bewegen schienen.
    Am Morgen waren wieder die beiden geheimnisvollen Männer aus dem Papstpalast erschienen. Anschließend hatte sich Michelangelo mit einer Giornata von zwanzig Quadratfuß begnügt, die sie fertigstellten, bevor die Dämmerung ihren milchigen Schleier über den Vatikan breitete. Aurelio ahnte den Grund. Dazu brauchte es nicht viel.
    Er war dabei, die Pinsel auszuwaschen, als Michelangelo sagte: »Geht euch amüsieren!« Er selbst gab vor, noch bleiben zu wollen, um, wie er erklärte, die Giornata für den kommenden Tag zu überdenken.
    Aurelio glaubte ihm kein Wort. Michelangelo mochte seine Unsicherheit überwunden und sich seiner künstlerischen Fesseln entledigt haben, doch wenn er die anderen aufforderte, sich zu amüsieren, stimmte etwas nicht. Also wartete er ab.
    Es war nicht nur die Neugier, die Aurelio umtrieb. Es war Sorge. Michelangelo war in Gefahr. Aurelio spürte es. Es ging um mehr als nur um sein Verschwinden. Da war diese seltsame Veränderung in seinem Wesen. Zunächst hatte Aurelio nur den zurückgekehrten Furor gesehen. Inzwischen jedoch war ihm klargeworden, dass es mehr war: Hochmut. Als könne nichts und niemand auf der Welt ihm etwas anhaben – kein Kunstwerk, kein Konkurrent, keine Tramontana. Nicht einmal der Papst, dem gegenüber er eine Respektlosigkeit an den Tag legte, die viele andere längst ihren Auftrag, wenn nicht gar ihren Kopf gekostet hätte. Und die Art, wie er

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