Der Sixtinische Himmel
Papst jeden blenden ließ, der ihrer ansichtig wurde.«
»Dann lasst Euch von Raffael porträtieren. Er beherrscht sein Handwerk wie kein Zweiter. Seine Frauenporträts sind von solchem Liebreiz, dass selbst …«
»Farben verblassen!«, schnitt Aphrodite ihm das Wort ab. »Darüber hinaus: Ich habe seine Frauen gesehen. Liebreiz … Raffael würde niemals verstehen, wer ich bin. Er würde mich nicht erkennen. Weder meine Sehnsucht noch mein Schicksal, noch meine Schönheit.«
Michelangelo schwieg. Aurelio ahnte den Grund. Aphrodites Urteil über Raffael musste Balsam für seine Seele sein.
Sie entkräftete den nächsten Einwand, bevor Michelangelo ihn vorbringen konnte. »Warum Ihr?«, sagte sie. »Ihr kennt die Antwort. Im Schatten des Papstes werde ich niemals Unsterblichkeit erlangen. Julius ist vergänglich, meine Schönheit ebenfalls. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Sieg über die Zeit davonzutragen.«
»Indem Ihr Euch in Marmor meißeln lasst.«
»Und zwar von dem Bildhauer, der nirgends seinesgleichen hat.«
Michelangelo schwieg.
»Ich habe Eure Arbeiten gesehen«, beschwor sie ihn. »Die Pietà. Den David. Und ich habe sie verstanden. Ich habe den Schmerz darin gefühlt wie meinen eigenen. Es gibt niemanden außer Euch, der solches vermag.«
Bis Aurelio gewahr wurde, dass Michelangelo und Aphrodite nicht allein in dem Gemach waren, war es beinahe zu spät. Reflexartig zog er seine Füße eine Handbreit zurück und hielt die Luft an. Die Präsenz des Dritten war unmittelbar. Plötzlich durchlief den Teppich ein Schauer. Es folgte ein Schnaufen. Auf Kniehöhe. Aurelio erstarrte. Der Jaguar. Drei-, viermal stieß er mit seiner Schnauze träge gegen den Teppich und schickte jedem Stoß ein unmissvertändliches Fauchen hinterher.
»Gib Ruhe«, fuhr Aphrodite ihn an. Sie schien zu glauben, dass Michelangelo der Grund für sein merkwürdiges Verhalten war. »Vor dir steht der größte Künstler der Gegenwart.«
Ihr Haustier gab ein renitentes Knurren zur Antwort und stieß erneut seine Schnauze in den Teppich.
Aphrodite durchschritt den Raum und schien sich zu ihrem Haustier hinabzubeugen. »Beruhig dich, mein großer, starker, schöner Beschützer«, raunte sie. »Er wird mich unsterblich machen, weißt du?«
Mit einem letzten Schnaufen ließ sich der Jaguar vor dem Teppich nieder – direkt zu Aurelios Füßen.
Aphrodite richtete sich auf. Ihre Stimme war jetzt ganz nah bei Michelangelo – und Aurelio. »Glaubt Ihr, ich wüsste nicht, wie sehr Julius Euch erniedrigt, indem er Euch zwingt, den Marmor auf dem Petersplatz aufzugeben? Er genießt es, Euch daran vorbeigehen zu sehen – von seinem Fenster aus. Er sagt, Euer morgendlicher Gang in die Sistina sei sein täglicher Triumphzug.«
Michelangelos Schweigen brannte heißer als das Kaminfeuer. Es durchdrang sogar den Teppich. Der Jaguar fauchte, sprang auf die Beine, als habe man ihm Salmiak unter die Nase gehalten, und suchte sich einen anderen Platz.
»Wie fühlt sich das an, Michelangelo«, flüsterte Aphrodite, »die Vorstellung, mich, Julius’ Kurtisane, in Marmor zu meißeln? Unter seinen Augen? Er hat Euch um Euer Lebenswerk betrogen?« Ihr Lachen hätte ein Fauchen des Jaguars sein können. »Ich gebe Euch ein neues: mich! Welche Genugtuung könnte größer sein?«
Michelangelo schwieg beharrlich. Aphrodites Fragen erforderten keine Antworten. Mehr noch: Sie hätten aus jeder Antwort ein Eingeständnis gemacht.
Als erneut ihre rauchige Stimme erklang, war es Aurelio, als flüstere sie ihm ins Ohr. »Nennt mir Euren Preis.«
Aurelio wich zurück. Sein Versuch zu schlucken, endete in einem lautlosen Erstickungsanfall. Um sich nicht zu verraten, verschloss er seinen Mund mit der eigenen Hand.
Endlich ergriff Michelangelo das Wort. »Was würde aus der fertigen Statue werden? Wie Ihr, könnte auch sie nur im Verborgenen existieren. Sie wäre verdammt zu einem Dasein in Einsamkeit und Dunkelheit.«
»Sie wird das tun, was ich nicht zu tun vermag: geduldig warten, bis ihre Zeit gekommen ist. Und dann wird nichts und niemand mehr ihren Siegeszug aufhalten. Denkt nur an die Laokoon-Gruppe: Über Jahrhunderte wurde der Schrei des Laokoon vom Erdreich erstickt – bis vor drei Jahren seine ausgestreckte Hand den Boden durchbrach. Ihr selbst ward bei seiner Bergung zugegen, soweit ich weiß. Und heute strahlt kein Stern im Skulpturengarten des Belvedere heller als er. Tag für Tag leidet er Todesqualen, um der Welt von der
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