Der Sixtinische Himmel
dem Haupt der römischen Kirche zu vereinen, dann er: Julius Caesar Pontifex II.
Selbstverständlich fand das neuerwachte Selbstbewusstsein seinen Ausdruck zuerst und vor allem in einer kolossalen Feier. Die Ewige Stadt feierte ihren Sieg, ihren Papst, ihre Zukunft und ihre Vergangenheit, berauschte sich an sich selbst und wartete auf das versprochene Feuerwerk.
Rosselli, Bastiano und Aurelio hatten wenige Schritte flussaufwärts der Brücke einen befestigten Platz am Tiberufer ergattern können, von dem aus sie freien Blick auf die Engelsburg hatten. Aus diesem Grund war Aurelio schließlich hergekommen – der Blick auf die Engelsburg. Genauer: die Terrasse. Das Feuerwerk selbst interessierte ihn nicht sonderlich. Sie saßen auf einem Travertinquader, die Füße im Wasser, ließen eine Kanne Rotwein kreisen und aßen Focaccie mit Zwiebeln. Der Strom der Menschen zog ebenso lautstark wie träge hinter ihnen vorbei. Es herrschte Hochstimmung. Keiner hatte das Gemetzel auf dem Schlachtfeld miterleben müssen, dennoch durfte sich jeder als Sieger fühlen.
Noch keine Nacht in diesem Jahr war so warm gewesen wie diese. Eine Erlösung nach dem nicht enden wollenden Winter, der die Römer, die ihr Leben so gerne auf die Straße trugen, wie Eidechsen in ihren Häusern gefangen gehalten hatte. Die Luft hing als zähes graues Band über dem Tiber und trug den Geruch von Rauch, gebratenem Schweinefleisch, Zwiebeln und Rotwein flussabwärts. Am Brückenkopf hatten sich vier Musikanten eingefunden, die Villanelle – Volksweisen – zum Besten gaben, wobei der Flötenspieler sich jedes Mal, wenn eine Kurtisane auf die Brücke stolzierte oder sich einer der herrschaftlichen Wagen in den Strom der Passanten zwängte, absichtlich verspielte, was bei den Umstehenden große Heiterkeit auslöste.
»Sag mal«, setzte Bastiano an, als er Aurelio den Krug weiterreichte. »Michelangelo und du …« Er schnippte einen Kiesel in den Tiber. »Ich meine: Was ist denn das?«
Aurelio hatte es geahnt. Michelangelo und er – es ließ Bastiano keine Ruhe. Augenblicklich versteifte sich sein Nacken. Sobald das Gespräch auf Michelangelo und ihn kam, spürte er einen nicht abzuschüttelnden Drang, sich zu rechtfertigen. Er nahm einen Schluck, der größer ausfiel, als er beabsichtigt hatte. Bereits seit einiger Zeit spürte er den Wein warm in seinen Adern kreisen.
Piero kam ihm mit der Antwort zuvor: »Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht.«
»Und ich glaube, Aurelio kann für sich selbst sprechen«, entgegnete Bastiano.
Piero schwieg. Er war die Mutter der Bottega, doch auch eine Mutter musste von Zeit zu Zeit einsehen, dass die Söhne etwas unter sich auszumachen hatten.
Aurelio nahm einen weiteren Schluck aus dem Krug und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Von der Brücke schwappte eine Woge respektvollen Gelächters. Eine Kurtisane in einem glänzenden, perlmuttfarbenen Kleid hatte die Brücke betreten, und der Flötenspieler ließ die Töne wie ein Rudel junger Hunde übereinanderpurzeln.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Aurelio schließlich. »Da ist nichts Körperliches zwischen uns – wenn es das ist, worauf du hinauswillst. Er sieht etwas in mir. Aber immer, wenn ich glaube, es zu verstehen, verstehe ich es wieder nicht. Inzwischen denke ich, es wäre besser, es gar nicht verstehen zu wollen.«
»Und was siehst du in ihm?«
Warum nur interessiert dich das so sehr, dachte Aurelio. Noch einmal ließ er sich den Krug reichen. Vielleicht, wenn er Bastiano einmal offen und ehrlich Auskunft gab, würde dieser ihn endlich damit in Ruhe lassen. »Mein Vater hat mir auf dem Sterbebett gesagt, ich solle nie vergessen, wer ich bin und wo ich herkomme …«
»Und?«
»Ich glaube, Michelangelo ist für mich der Mensch, der ich niemals sein werde, und der Ort, den ich niemals erreichen kann.« Er fühlte sich wie auf einem schmaler werdenden Steg. »Du hast mich einmal als seine Muse beschimpft. Nun, vielleicht bin ich das. Es würde ausreichen, um mich ein Leben lang mit Stolz zu erfüllen. Ich fürchte jedoch, mehr für ihn zu sein als das.«
»Ach ja?«
»Ja.« Aurelio versuchte, die Worte in der richtigen Reihenfolge aufzufädeln. Ein leichter Schwindel befiel ihn. Der schmaler werdende Steg schien kein Geländer zu haben. »In den Momenten, da ich glaube, es zu verstehen, meine ich, der Mensch zu sein, der er niemals sein wird, und der Ort, den er niemals erreichen kann. Und bevor du die nächste Frage stellst:
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