Der Sixtinische Himmel
Ja – ich wünschte, es wäre nicht so. Und noch einmal ja – ich bin trotzdem stolz darauf.«
»Was für ein Geschwafel«, stellte Bastiano fest.
Dennoch schien er sich vorerst damit zufriedenzugeben. Vielleicht war er auch nur zu betrunken oder ging sich mit seiner verworrenen Eifersucht selbst auf die Nerven und hatte eingesehen, dass er lieber über seinen eigenen Argwohn nachdenken sollte, als sich den Kopf über das Verhältnis von Aurelio und seinem Meister zu zerbrechen.
Er stand auf. »Noch jemand ein Stück Focaccia?«
* * *
Entlang des Ufers breitete sich ein plötzliches Schweigen aus. Wie auf ein Zeichen blickten Rosselli und Aurelio zur prächtig geschmückten Terrasse empor. War der weiße Schleier, der da so gemächlich die Brüstung abschritt, ihr weißer Schleier? War das dort oben Aphrodite? Es hieß, die Frau, die nicht existierte, habe sich bereits am Nachmittag durch den Passetto vom Vatikan in die Burg bringen lassen, um dort, auf der Terrasse, aus einer mit weißem Damast bespannten Sänfte heraus das mitternächtliche Feuerwerk auf sich niederregnen zu lassen.
Aurelio spürte Groll in sich aufsteigen. Hier saß er, darauf hoffend, ein Stück weißer Seide zu erhaschen – wo er doch mit eigenen Augen aus nächster Nähe gesehen hatte, was sich darunter verbarg. Die Silhouette verweilte einen Augenblick. Dann hob sie die Arme, als erteile sie der Stadt und ihren Bewohnern ihren Segen. Andächtiges Gemurmel erhob sich, vereinzelt waren Rufe zu hören, niemand jedoch sprach Aphrodites Namen aus. Schließlich trat die Gestalt hinter die Brüstung zurück. Einen Moment noch konnte die erwartungsvolle Stille dem Drängen der Menschen standhalten, dann jedoch setzte erneut die Musik ein, und die siegreichen Römer waren sich wieder selbst genug.
Nicht so Aurelio. Der war sich schon lange nicht mehr selbst genug. In den vergangenen Wochen hatte er oft geglaubt, vor Verlangen den Verstand zu verlieren. Nicht eine weitere Chance hatte es gegeben, sich an Aphrodites Anblick zu weiden – nachdem sie vor seinen Augen ihren Körper und, wie er glaubte, ihre Seele entblößt hatte. Nicht eine Gelegenheit hatte sich seinem Meister eröffnet, weitere Zeichnungen anzufertigen.
Seit Julius sich der Liga von Cambrai angeschlossen hatte – das jedenfalls besagten die Gerüchte, die durch die Flure des Vatikans getragen wurden –, klammerte sich der Papst an seine Kurtisane wie ein Ertrinkender. Es wurde von Verfolgungswahn gesprochen, von Albträumen, panischen Zuständen. Und auch, wenn über den Seelenzustand des Papstes vor allem spekuliert wurde, so wusste man doch, dass er nur noch selten und ohne Vorankündigung den Palast verließ, ständig unangemeldet in Aphrodites Gemächern auftauchte und von ihr verlangte, keine Nacht auch nur einen Moment von seiner Seite zu weichen.
Da nicht zu erwarten war, dass Michelangelo unter diesen Umständen so bald mit seinen Studien würde fortfahren können, war Aurelio wiederholt das Risiko eingegangen, sich auf eigene Faust aus der Kapelle zu stehlen und heimlich durch die Katakombe in den Papstpalast zu schleichen. Die verborgene Tür zu Aphrodites Gemach jedoch konnte nur von innen entriegelt werden. Und Aurelio fand sie stets verschlossen vor. Statt die Flamme seines Verlangens zu ersticken, hatte sie nach jedem missglückten Versuch nur umso heißer gebrannt.
Sein Meister indessen hatte zu ungewohnter Gelassenheit gefunden. Auf die nächste Szene des Freskos, die »Trunkenheit Noahs«, verwendete er beinahe so viele Tagewerke wie auf die Sintflut. Als wolle er den ungeduldigen Julius mit seiner Langsamkeit herausfordern.
»Wann wird es fertig sein?«, hatte der Papst erst vor zwei Tagen wieder zu wissen verlangt.
»Es wird fertig sein, wenn es mich als Künstler zufriedenstellt«, hatte Michelangelo vom Gerüst aus gerufen.
Danach war nur noch das Krachen von Julius’ Stock auf dem Mosaik zu hören gewesen.
Bastiano und Rosselli gegenüber begründete Michelangelo die plötzliche Langsamkeit mit Unsicherheiten in der Bildkomposition. Ein Gedränge wie bei der Sintflut durfte ihm keinesfalls noch einmal unterlaufen. Auch musste er eine ausgewogenere Raumaufteilung erreichen. Die Kartons jedoch, die er morgens der Bottega präsentierte, konnten ihm nicht mehr als ein oder zwei Stunden seiner Zeit abverlangt haben. Oft befand er erst endgültig über den Malabschnitt, nachdem der Intonaco bereits aufgetragen war, und manchmal änderte er sogar
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